Daniel Dockerill
I. | Die bürgerliche Epoche ist die Epoche der Revolution und umgekehrt die Epoche der Revolution die bürgerliche, der Kommunismus ihre Vollendung. Das Proletariat als das Subjekt dieser Vollendung der Revolution war keine theoretische Hypothese, sondern sinnlich-praktische Tatsache. Als solche geschichtliche Tatsache scheint das revolutionäre Proletariat heute aber nicht weniger tatsächlich nur mehr Geschichte zu sein – ohne indes seine Geschichte vollendet zu haben. |
II. | Zwar ist das Proletariat für die Bourgeoisie unbesiegbar, weil es für sie unentbehrlich ist, sie selbst hingegen absolut entbehrlich. Aber diese Spezifik des modernen Klassengegensatzes, Klassengegensatz in reinster, auf sich selbst reduzierter Form zu sein, macht zugleich, daß er nur im Versuch seiner revolutionären Aufhebung in Erscheinung tritt oder gar nicht, d.h. für alle seine Akteure hinter der demokratischen Freiheit und Gleichheit des Geldes unsichtbar wird. Die Frage nach der Möglichkeit und Wirklichkeit des Klassenbewußtseins des Proletariats ist zunächst die Frage nach der wirklichen Geschichte seines Kampfes mit der Bourgeoisie. |
III. | Das vorläufige Resultat dieser Geschichte, die zu einem erheblichen Teil sich in Deutschland entschied, ist die demokratische Zähmung des revolutionären Proletariats zum Sozialpartner. Die erhielt ihre Grundlage in der Volksgemeinschaft der Nazis, der losgelassenen Herrschaft der kleinen Bürger, die, dem Horror ihrer sämtlichen Alpträume, ihrer Reduktion auf austauschbare Arbeitskraft, ins Auge blickend, die Zeichen und Symbole jener im Osten heraufgezogenen Revolution usurpierten, derentwegen vor allem sie die bürgerliche Gesellschaft haßten und die ihr ein für allemal auszutreiben, sie schließlich die ihnen angetragene Macht ergriffen. Die Unfähigkeit der Bourgeoisie, der Gesellschaft ihre Existenzbedingungen noch anders aufzuzwingen als um den Preis des vollständigen Ruins derselben, war offensichtlich, ihr revolutionärer Sturz auch im Westen insofern unausweichlich geworden, zugleich aber erwies sich die revolutionäre Klasse auf beiden Flügeln ihrer gespaltenen Präsenz selbst in Deutschland als gründlich handlungsunfähig. Die Paralyse dieser Konstellation erst rief das Volk der Deutschen und seinen Führer auf den Plan, die im Krieg gegen bürgerliche Dekadenz und bolschewistische Untermenschheit, in den namenlosen nazistischen Greueln, gipfelnd im industriellen Massenmord an den europäischen Juden, sich jenen Revolutionsersatz schufen, der ihnen die einzige noch wirkliche, die kommunistische Revolution für immer erledigen sollte. Tatsächlich erledigte sich nichts. Das Volk verlor Krieg und Führer, und die weiterhin fällige Fortsetzung der Revolution wurde nur um den Preis auf unbestimmte Zeit vertagt, daß man bürgerlicherseits den im Krieg behaupteten bescheidenen Resultaten ihres ersten Anlaufs den angemessenen Tribut zollte. Die nazistische Volksgemeinschaft erhielt ein verstärktes materielles Unterfutter. Es kam die Zeit des demokratischen Sozialstaats, die dem Kapitalismus namentlich in seinem östlichen Frontstaat eine unverhoffte späte Blüte bescherte, über der deren historisch bestimmte Voraussetzung allzu leicht vergessen wurde: die im Osten, wie verzerrt auch immer, drohend fortwesende Realität des kommunistischen Umsturzes. Um so nachdrücklicher bringt diese revolutionäre Bedingung sich nun als solche darin in Erinnerung, daß ihrer endgültigen Tilgung das Kassieren des Sozialstaats auf dem Fuße folgt. |
IV. | Die vom kommunistischen Manifest verkündete Revolution des Proletariats liegt also heute nicht mehr einfach vor, sondern zu einem guten Teil bereits hinter uns – ohne allerdings die seinerzeit skizzierten „allgemeinen Resultate“ gezeitigt zu haben. Während aber die zusammengerückte Bourgeoisgesellschaft diese Unentschiedenheit aller bisherigen Kämpfe der besitzlosen Massen um eine dauerhaft lebenswerte Existenz uns derzeit nachdrücklich in Erinnerung bringt und eine (in Wahrheit, siehe These II, unmögliche) Entscheidung zu ihren Gunsten verlangt, bleibt der Gedanke an eine revolutionäre Entscheidung ein allseits gehütetes Tabu. Nicht nur die glücklich verspießerten Massen denken nicht an Sozialismus. Auch die aufgeklärte Linke jeglicher Provenienz will nach dem Desaster des Realsozialismus von einem praktisch ernstgemeinten, erneuerten Programm zur revolutionären Beseitigung des kapitalistischen Privateigentums nichts mehr wissen. |
V. | Kommunismus ist die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise im Ganzen. Die Realität dieses aufzuhebenden Ganzen ist nicht irgendein einzelnes Kapital und auch kein einzelnes kapitalistisches Land, sondern der sich über den kapitalistischen Weltmarkt herstellende Zusammenhang aller national und multinational organisierten Kapitale. Der Kommunismus eines einzelnen Landes oder auch mehrerer davon neben einem als kapitalistischer Weltmarkt fortbestehenden Weltkapital kann immer nur ein für sich unzulängliches, daher auf Dauer unmögliches Provisorium sein. Der reale Kommunismus des Ostens war eine solche höchst prekäre Form des versuchten Übergangs zu sozialistischer Produktion und Verteilung. Die für diesen Versuch überlebensnotwendige, namentlich in Deutschland zeitweilig durchaus gegebene Möglichkeit des Fortschreitens der Revolution im Westen, wo das Kapital seine Hauptbasis hatte, wurde in Verantwortung der dortigen Revolutionäre frühzeitig verspielt. Das somit im Westen weiterhin von der bürgerlichen Arbeiterpolitik kontrollierte Proletariat hat den im Osten entstandenen ersten Arbeiterstaat einer in ihm keimenden Bürokratie ausgeliefert, ähnlich derjenigen, die im Westen noch heute die Gewerkschaften regiert. Aus der Not, in welche die Revolution geraten war, die sie nach oben gebracht hat, haben die neuen Eliten im Osten sich die zweifelhafte Tugend eines sogenannten „Sozialismus in einem Land“ gebastelt. Ein Provisorium, das nur als ein revolutionäres, als erste, niemals sich selbst genügende Basis der weiterzutreibenden Weltrevolution historischen Sinn gemacht hatte, haben sie zum postrevolutionären, besonderen Gesellschaftstyp ideologisiert, um es, in der ihrer besonderen Lage entsprechenden Weise, der bürokratisch verwalteten Arbeiterbewegung im Westen nachzutun, d.h. ihr Heil vor allem im Paktieren mit dem einen oder anderen Teil der Weltbourgeoisie zu suchen. |
VI. | Was die Regime des Realsozialismus dennoch als Arbeiterstaaten kennzeichnete, war das im Gefolge einer Arbeiterrevolution dort herrschende Staatsmonopol auf die industrielle Produktion sowie den inneren und äußeren Handel. Dieses Staatsmonopol macht noch keinen Sozialismus im Sinne der klassenlosen Gesellschaft. Es ist aber auch nicht mehr ohne weiteres kapitalistisch, sondern eine Form des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Seinen Übergangscharakter besitzt es darin, daß es einerseits sich in einem nach wie vor vom Kapital beherrschten Milieu bewegt, andererseits aber in seinem Innern den Mechanismus liquidiert hat, der die Arbeitskraft zur Ware macht und daher ihren Anwendern erlaubt, die Reproduktion dieser Ware der Anonymität von Angebot und Nachfrage zu überlassen. Das Monopol des realsozialistischen Staates machte diesen zum universellen Produzenten, also auch zum Produzenten der von ihm selbst angewandten Arbeitskraft, damit den Warencharakter der Arbeitskraft, die Geldform des Arbeitslohns weitgehend zu einer – von den regierenden Arbeiterbürokratien allerdings mit fataler Ignoranz aufrechterhaltenen – Fiktion. |
VII. | Seiner allgemeinen Formel nach ist der Arbeiterstaat, die von Marx so genannte „revolutionäre Diktatur des Proletariats“, die politische Herrschaft einer ökonomisch nach wie vor abhängigen Klasse über diejenigen, von denen sie ökonomisch abhängt, d.h. ausgebeutet wird. Diese Herrschaft zielt daher von Anfang an auf ihre eigene Abschaffung – oder aber ins Leere. Möglich ist sie nur, weil sie den Zweck auf den sie hinarbeitet, nicht erst noch vorgeben muß, sondern bereits vorfindet: als jenes Ende auf das der Prozeß der kapitalistischen Akkumulation selbst seiner eigenen Natur nach zusteuert, als dessen „geschichtliche Tendenz“, wie Marx sagt. Das Proletariat, das der Bourgeoisie die sachlichen Mittel und Bedingungen seiner Arbeit entreißt, vollendet zunächst nur radikal gründlich den Prozeß der Konzentration und Zentralisation, den das Kapital seinem immanenten Gesetz nach blind getrieben, sich zugleich ihm widersetzend, sowieso vollzieht. Indem das Proletariat jene Mittel gewaltsam in seinen gemeinsamen Besitz überführt, wird es sein eigener monopolistischer Kapitalist, insofern es in seinen äußeren Beziehungen den Gesetzen der nach wie vor über den Weltmarkt, also übers Kapital vermittelten gesellschaftlichen Reproduktion in größerem oder geringerem Maße unterworfen bleibt. Nur insofern auch besitzt seine revolutionäre Vereinigung noch Monopol-, d.h. Klassencharakter, sein Monopol daher Staatscharakter. Ein solcher Zustand kann niemals auf Dauer eingerichtet sein. Er muß sich früher oder später in der einen oder der anderen Richtung auflösen: nämlich so, daß entweder der kapitalistische Charakter der Umwelt des Arbeiterstaates oder dessen Staatsmonopol und damit er selbst liquidiert, daß also der Übergang von der kapitalistisch organisierten zur kommunistisch sich selbst organisierenden gesellschaftlichen Arbeit entweder vollendet oder umgekehrt wird. |
VIII. | Der faule Kern der Ideologie und Praxis des Realsozialismus hat darin bestanden, die Ansprüche auf gesellschaftliche Emanzipation der auf ihre Arbeitskraft reduzierten Massen auf ein Niveau herunterzuschrauben, das selbst den vom Kapitalismus bereits erreichten Grad weltweiter Vergesellschaftung der Arbeit, statt darüber hinaus zu drängen, noch unterschreitet: Statt klassen- und staatenlose Weltgesellschaft, nationale Verstaatlichung der Arbeiterklasse. Aus dem schmählichen Ende dieser Praxis zieht die postrealsozialistische Linke mehrheitlich die Lehre, die Ansprüche noch weiter zu reduzieren. Markt und Demokratie, statt Staatsmonopol, heißt jetzt die Devise. Wer dagegen trotz allem seine Ansprüche nicht reduzieren will, dem scheint nur übrig zu bleiben, auf ihre positive Formulierung ganz zu verzichten. „Kritik der Arbeit“ nennt sich der ideal dazu passende Dunst. Die im Ende des Realsozialismus sich resümierende Geschichte steht damit – wie bürgerlich üblich – auf dem Kopf. Der Realsozialismus ist nicht an dem Versuch gescheitert, den Kapitalismus umzuwälzen, sondern daran, diesen Versuch durch den Aufbau einer Alternative zum Kapitalismus zu ersetzen. Der Realsozialismus mußte abtreten, weil der (auch mit seiner Hilfe) fortwesende Kapitalismus (wiederum mit seiner nicht gering zu veranschlagenden Hilfe) die Welt längst überreif gemacht hat für einen zweiten Versuch des revolutionären Übergangs zum Kommunismus; einen weit umfassenderen, radikaleren Versuch als es jener vor acht Jahrzehnten begonnene hatte sein können, dessen nur noch fossiles, nicht mehr revolutionär mobilisierbares Relikt in Gestalt des Realsozialismus ihm daher äußerst sperrig im Weg stand. |
IX. | Den revolutionären Schritt hinaus über das kapitalistische Privateigentum zu verleugnen, der mit der Vernichtung des Realsozialismus endgültig rückgängig gemacht wurde, einigt die diversen Strömungen der Linken und definiert sie als Linke. Ihre Differenzen beziehen sich darauf, wie diese Distanzierung von der eigenen revolutionären Geschichte zu begründen sei. Finden die einen, daß die Arbeiterstaaten in der Beseitigung des bürgerlichen Dualismus von Markt und Staat eher zu weit gegangen seien, so die anderen, daß dergleichen gar nicht stattgefunden habe oder es darauf sowieso nicht ankomme. Demokratischer Sozialismus, ein bis auf weiteres platonisch gewordener Stalinismus sowie ein auf abstrakten Hedonismus sich zurückziehender Anarchokommunismus bilden die drei Hauptrichtungen dieser Linken. Ein zu praktischer Nutzanwendung taugliches Programm besitzt jedoch nur der demokratische Sozialismus, der sich dem demokratischen Staat als jene integrative Kraft anbietet, die allein noch glaubwürdig die übergeordneten Interessen zu formulieren vermag, in deren Namen die Verwertung des einheimischen Kapitals zur weiterhin allgemein verbindlichen Maxime erklärt werden kann. Der seiner realen Basis und damit seiner besonderen Funktion beraubte Stalinismus bildet nur den linken, weniger Kompromißbereitschaft mimenden Flügel des demokratischen Sozialismus. Der in Kommunismus machende Hedonismus liefert das beide komplettierende Gegenstück, das die Enttäuschten und Ernüchterten sammelt, die, nun mehr überzeugt von der Unmöglichkeit einer wirklichen Besserung der Welt, sich trösten mit deren streng „negativer“, d.h. prinzipiell unpraktischer, daher exklusiv ihren geistlichen Zirkeln vorbehaltener Kritik. |
X. | Der praktische, proletarische Kommunismus, der an sich festhält am Ziel der revolutionären Überwindung des Kapitalismus, sieht sich nahezu hoffnungslos marginalisiert. Er ist zersplittert in etliche mehr oder weniger mikrobische Zirkel sowie zahlreiche von Zeit zu Zeit hier und da fraktionell, meist aber ganz vereinzelt in diversen größeren oder kleineren Organisationen und Initiativen der Linken sich durchschlagende kommunistische Individuen. Er ist eher eine unklar spürbare Stimmung, als eine deutlich vernehmbare Stimme, eher eine un- bzw. vorbewußte Ahnung, als ein klares Bewußtsein davon, daß das Bild vom einstweiligen Sieg des Kapitalismus, den es vorerst neidlos anzuerkennen und durch einen neuen Aufbruch zum Kampf um Reformen in Grenzen zu halten gelte, nicht stimmt; daß vielmehr die Geschichte erneut und schärfer denn je sich zuspitzt auf die Frage: barbarische Agonie oder revolutionäre Beendigung des Kapitalismus. Alles hängt jetzt davon ab, ob dieser marginalisierte, zersplitterte, unklare Kommunismus sich von der in demokratischer Traumtänzerei und gekränktem Weltschmerz versumpfenden Linken zu trennen und auf dezidiert revolutionärer Grundlage zu einer selbständigen, deutlich davon unterscheidbaren Kraft zusammenzuschließen vermag. |
XI. | Der Kampf der proletarisierten Individuen um ihre elementaren Interessen ist in dem Sinne immer schon Klassenkampf, daß er nur als solcher Kampf der ganzen Klasse überhaupt funktioniert. Als Klasse des Proletariats stehen jene Individuen aber im Gegensatz zur Klasse der Bourgeoisie, deren Existenzgrundlage wiederum ihre eigene Reduktion auf bloße Arbeitskraft ist, die sie zu deren Verkauf zwingt. Die Bedingungen zur Reproduktion dieser Ware sind ohne den gemeinsamen Kampf ihrer individuellen Träger nicht zu sichern. Ihre elementaren Interessen selbst treiben sie also mit Notwendigkeit dazu, sich zur Klasse zu vereinigen; treiben sie in die Konfrontation mit der bürgerlichen Ordnung der Verhältnisse im Ganzen. Diese allgemeine Wahrheit über deren in ihrem eigenen Innern unheilbar gegensätzlichen Charakter war nur scheinbar dadurch außer Kraft gesetzt, daß die Kontrahenten eine Zeitlang, hier sozialstaatlich, dort realsozialistisch, gleichsam sich selbst in Zaum gehalten und so ihrem Gegensatz das falsche Aussehen einer – auf ihre Weise höchst bedrohlichen – äußeren Konkurrenz sogenannter Systeme verpaßt hatten. Sozialstaat und Realsozialismus waren das späte und ziemlich vergängliche, doppelgesichtige und doch zusammengehörige Resultat einer großen, im Osten zunächst siegreichen, im Westen jedoch blutig ausgetriebenen und im Rückschlag dessen kaum weniger blutig dann auch im Osten abgewürgten Revolution. Beide sind nun gleichermaßen unwiederbringlich dahin. |
XII. |
Mit Realsozialismus und Sozialstaat ist auch jener altehrwürdige „Kampf um Reformen“, der an eine fernere Revolution „heranführen“ sollte, unmöglich geworden. Nicht zufällig ist „Reform“ heute eine reaktionäre Kampflosung der Bourgeoisie. Revolutionäre haben keinen Grund, sie für sich zurückzuverlangen, vielmehr allen Grund diesen Umstand für eine Klarstellung zu nutzen. Jegliche Verteidigung selbst der bescheidensten Lebensinteressen der proletarisierten Individuen, die sich nicht mit frommen Wünschen abspeisen läßt, gerät heute – ob sie will oder nicht – in den schärfsten Gegensatz nicht allein zu diesem oder jenem Bourgeois, dieser oder jener politischen Option der Bourgeoisie, sondern zur bourgeoisen Daseinsweise selbst. Auch die Verteidigung der bescheidensten Lebensinteressen der Menschen fordert heute von ihnen revolutionäres Handeln, erfordert rücksichtslose Eingriffe ins Allerheiligste der herrschenden Ordnung, in das Eigentum der Bürger. In diesem Sinne steht von nun an der Kampf für den revolutionären Übergang zum Kommunismus wieder unmittelbar auf der Tagesordnung. Die Stoßtrupps des um seinen faulen Frieden bangenden Spießertums stehen schon bereit, einer zweiten Auflage seines massenmörderischen nationalen Revolutionstheaters den Weg zu bahnen, sollte dieser Übergang ein zweites Mal verfehlt oder womöglich nicht einmal mehr ernsthaft ins Auge gefaßt werden. Dessen im Querlauf der Geschichte gründlich verschliffenes Programm vielleicht diesmal noch rechtzeitig neu unter sich zu klären, auszuarbeiten, zu beschließen; es in der Aktion zu vertreten und zu überprüfen; d.h. eine Grundlage für ihre revolutionäre Kooperation zu schaffen: das ist die alles entscheidende Aufgabe, die alle revolutionären Sozialisten und Kommunisten – unbeschadet ihrer verschiedenen theoretischen, politischen und organisatorischen Traditionen – jetzt gemeinsam in Angriff zu nehmen haben.
Als Eckpunkte eines solchen Programms seien hier vorläufig festgehalten:
Bloßlegung des bürgerlichen Privilegs zu arbeitsloser Existenz, das den wirklichen Zwang zur Arbeit in ein scheinbar zufällig-individuelles Schicksal verkehrt. Gleicher Arbeitszwang für alle, d.h. Abschaffung jenes Privilegs des Besitzes. Nur so wird für alle die gesellschaftlich notwendige Arbeit und ihr vernünftiges Maß transparent und damit soweit reduzierbar, daß uns Zeit zur freien Entfaltung unserer individuellen „produktiven Triebe und Anlagen“[1] zuwächst, die Arbeit daher überhaupt ihren Zwangscharakter verlieren und sich in unser „erstes Lebensbedürfnis“[2] verwandeln kann.
Abschaffung der kapitalistischen Lohnarbeit selbst, nämlich des die gesellschaftliche Arbeit in ihr Gegenteil verkehrenden Zwangs, daß sie sich in den Händen der Privaten verwerten, daß ihr gemeinschaftlich erzeugtes Produkt, statt als gemeinschaftlicher, als unendlich sich vermehrender privater Reichtum sich darstellen muß. Selbstorganisation der Arbeit auf der Höhe ihres jetzigen Vergesellschaftungsgrades, für die es vorderhand nichts weiter braucht als die völlige Abschüttelung jenes Verwertungszwanges, d.h. der jetzigen privaten Verfügung über sie, die angesichts des hochgradig gesellschaftlichen Charakters heutiger Arbeit nur noch ein schreiender und äußert kostspieliger Anachronismus ist.
Aufhebung der bestimmten Voraussetzung, unter der überhaupt nur der gegenständliche Reichtum allgemein in Geld gemessen und erst im Austausch mit Geld konkret nutzbar wird: daß er nämlich sich regelmäßig in den Händen derer befindet, die nichts mit ihm anfangen können, als ihn zu tauschen, und daher denjenigen, die seiner konkret bedürfen, ebenso regelmäßig nicht gehört. Diese Voraussetzung läßt sich also nicht aufheben, ohne daß damit zugleich das Geld als allgemeine Darstellungsform des gesellschaftlichen Reichtums gegenstandslos wird und verschwindet. Die im Geld ihren allgemeinsten, geläufigsten Ausdruck findende Ökonomie, in der die Produkte der Arbeit ihren Produzenten enteignet sind und über sie herrschen, löst sich auf in die rationelle Grundlage aller Ökonomie, die „Ökonomie der Zeit“: Die gesellschaftlich planmäßige Verteilung der Arbeitszeit regelt „die richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen“ (Marx)[3].
Ausnutzung der Demokratie zur Assoziation aller vom Produkt ihrer gemeinsamen Arbeit enteigneten, von ihrer Arbeit entfremdeten Individuen und Errichtung ihrer revolutionären Diktatur zum Zwecke despotischer Eingriffe in jene Ordnung des Eigentums, die diese Enteignung und Entfremdung ebenso zur Voraussetzung hat, wie sie dieselbe stets von neuem spontan erzeugt; einer Diktatur die übergeht zur Auflösung jeglicher Politik, auch der allerdemokratischsten, die doch immer eine Regierung über Menschen bleibt, in eine solche gemeinsame Verwaltung der Sachen, „worin die freie Entwicklung einer jeden die Bedingung der freien Entwicklung aller ist.“ [1] Karl Marx: Das Kapital. Erster Band. In: Marx/Engels Werke (MEW), Bd. 23, S. 381. [2] Karl Marx: Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei. In: MEW 19, S. 21. [3] Karl Marx: Das Kapital, a.a.O. S. 93. |