34. Ausblick auf Teil II des Gesamttextes: Deutschlands Weg zur Vormacht in Europa nach 1945

Der hässliche Deutsche – dritter Akt? – Teil I gab kritische Einblicke in die Ideologie der neuen deutschen Volksgemeinschaft und in die diese erzeugende deutsche Außenpolitik seit 1989.

Orientierungspunkt war die Regierungsankündigung Kohls von 1991, dass Deutschland nun mit seiner Geschichte abgeschlossen habe, sich zu seiner Weltmachtrolle bekennen könne und diese ausweiten solle. Die letzten 25 Jahre deutsche Zeitgeschichte wurden dementsprechend auf die deutschen außenpolitischen Konfliktlinien mit dem Welthegemon USA sowie auf die innereuropäischen Konfliktlinien des dritten deutschen Neuordnungsversuchs Europas als Sprungbrett zur deutschen Weltmacht gefiltert. Die deutsche Gegenwartsgeschichte bleibt auf Grund der umfangreichen Legendenbildungen und nicht enden wollender revisionistischer Vorstöße unverständlich, wenn nicht zumindest der Verlauf der europäischen Integration nach 1945 kritisch skizziert ist. Diese Aufgabenstellung wird in Teil II angegangen.

 

Unter dem Arbeitstitel Deutschlands Weg zur Vormacht der EU nach 1945 wird dort nachgezeichnet, dass, wie und in welchen Wendejahren Deutschland seinen dritten Neuordnungsversuch Europas nach seinen Interessen nach 1945 Zug um Zug mittels sogenannter „friedlicher ökonomischer Durchdringung" und daraus erwachsendem politischen Gewicht als stetig wachsende Exportnation umsetzte:

 

Von wegen Stunde Null; über Kontinuität und Brüche der europäischen Integration vor und nach 1945; vom Marshall-Plan zur Montanunion zur EWG; über EURATOM zum Offenhalten der deutschen A-Bomben Option; Deutschlands seit 1945 bis heute geglückte militärpolitische Einhegung durch die Westalliierten; zur deutschen Durchsetzung eigenmächtiger supranationaler EG-Organe bis zum Ausbau der EU-Kommission 1995; zum Europäischen Währungssystem EWS und dessen Übergang zur Währungsunion als deutschen Instrumenten, den „Partnern“ die „Wettbewerbsfähigkeit“ durch soziales Dumping aufzuzwingen.

 

Darauf: Von Deutschlands großem Sprung nach vorn nach der Einverleibung der DDR; seine ökonomische Usurpation der MOE-Staaten einschließlich der Länder des Balkans; von den abgepressten EU-Verträgen von Maastricht 1992 über Amsterdam 1997, Nizza 2001 bis Lissabon 2007; vom deutschen Beharren auf den zügigen Ausbau der GASV-Politik seit 1994 bis zum „Fiskalpakt“ 2011 als deutschem EWWU-Diktat der vertieften EU-Integration mit dem erklärten Ziel von VS.

 

Es kommt dort auch zur Sprache, dass Griechenland, Zypern, Malta und Portugal übergreifend aus deutschen geostrategischen Gründen Mitglieder der Eurozone sind und bleiben sollen. Zwischendrin sind theoretische Exkurse eingefügt: zur näheren Bestimmung des nationalen Gesamtkapitals und des durch dieses bestimmten Nationalstaats; zu Wert, Ware, Geld, Kredit, Außenhandel, Währung, Wechselkurs.

 

Auf dieser kategorialen Folie wird die Frage nach der Möglichkeit und den Grenzen der voluntaristischen europäischen Integration von entwickelten Nationalstaaten durch den Hegemon als einmaliges historisches Projekt reflektiert. Immerhin ist der dritte deutsche Neuordnungsversuch Europas durch Einsatz der kapitalistischen Ware als der stärksten Waffe überhaupt – die jede chinesische Mauer durchschlägt – einmalig in der Geschichte der bürgerlichen Geschichte. Nach geschichtlichem Ermessen kann dies nur im Krieg enden. An Hand der empirischen Beweislage wird die über den Gesamttext übergreifende Arbeitshypothese zur europäischen Integration nach 1945 dahingehend beantwortet, dass die kapitalistischen Vereinigten Staaten von Europa (VSE) nicht machbar sind außer als Zwangsgemeinschaft-der-Vasallen-Deutschlands-in-Europa (ZVDE) – mit sehr hohem Risiko eines Krieges in „Kerneuropa“.

 

In Teil II wird, wie vorne in den Ausführungen zu Kerneuropa schon erwähnt, durchgehend dem deutschen Mantra von der Alternativlosigkeit des eigenen Kurses nachgegangen. Ihm werden die von Anfang des europäischen Integrationsprojektes (1951) an entgegengesetzten zwei alternativen Konzeptionen im politischen Machtkampf der EU-Staaten vergleichend entgegengehalten:

 

  • Der deutsche Kurs einer am gerne zitierten Souverän vorbei obrigkeitsstaatlich organisierten tiefen Integration der europäischen Länder oder im ersten Schritt ihres „Kerns“ zu einem europäischen Bundesstaat mit eigenmächtigen supranationalen Organen und eigener Bundesverfassung.

  • Der französische Kurs einer demokratisch legitimierten Föderation souveräner Nationalstaaten – Europa der Vaterländer – als politischen Gleichen unter Gleichen, ebenfalls mit einer eigenen Verfassung, allerdings ohne eigenmächtige supranationale Organe.

  • Die britischen und skandinavischen Vorstellungen eines europäischen Staatenbundes zwecks ausgebauter Freihandelszone.

 

Deutschland baute seine schon seit 1900 bestehende industrielle Führung in Europa nach 1950 nach und nach durch eine sich verstärkende Exportoffensive aus. Es konkurrierte sämtliche großen EU-„Partner“ schon vor und verstärkt mit dem EU-Binnenmarkt und erst recht mit der Währungsunion nieder. Auf diesen ökonomischen „Erfolgen“ schwang sich Deutschland zur politischen EU-Führungsmacht auf. Es setzte seinen Kurs der tiefen Integration ´Europas´ zu einem europäischen Bundesstaat Zug um Zug gegen die sich gegenseitig blockierenden Kurse der zwei größten „Partner“ mit mancherlei Erpressungsmanövern durch. Zunächst bis 1989 hinter dem multilateralen „Genscherismus“ in Deckung bleibend, danach in diplomatischen Formulierungen der Desinformation fürs große Publikum und seit der sogenannten Staatsschuldenkrise 2011 offen gegen fast den Rest der EU-„Partner“ und mit Anfeuerungsrufen der zusammenrückenden deutschen Volksgemeinschaft nach härterem Durchgreifen ihrer Mutti.

 

Was schon in Teil I klar geworden sein sollte für die Zeit nach 1989: Die dabei propagierte „Alternativlosigkeit“ des deutschen außenpolitischen Europa-Kurses und dessen Flankenabsicherungen gegen den transatlantischen großen Bruder war und ist die Chiffre für die deutschen Kontinuitätslinien von: Europäische Großraumwirtschaft, Europäische Arbeitsteilung, Europäischer Binnenmarkt, Europäische Währung, Europäischer völkisch neu geordneter Bundesstaat. In Teil II wird der europäische Integrationsprozess nach 1945 bis 1989 daraufhin anschlussfähig an den außenpolitischen Teil von Teil I dechriffriert. Deutschland ist nach seinem über hundert Jahre währenden Selbstverständnis erst mit und durch ein von ihm auf diese Weise neu geordnetes Europa jenes Phantasma, das eine Weltmacht ausmachen soll, von der die deutsche Bourgeoisie träumt und die deutschen Proletarier diesmal scheinbar ebenfalls sozialchauvinistisch träumen. Deutschlands Weltmachtambitionen drohen für die Europäer einschließlich der Deutschen selbst wiederum in einen Alptraum umzuschlagen.

 

Was hier als Geschichte des nationalen deutschen Gesamtkapitals, der Bourgeoisie als dessen Träger und deren politischen Personals erscheint, ist in Wirklichkeit die mehr als 100 jährige Geschichte des Klassenkampfs zwischen Bourgeoisie und Proletariat am Standort Deutschland. Das wird Gegenstand von Teil III der Arbeit sein. Dass der Verlauf des Klassenkampfs in Teil I des Textes kaum zum Tragen kam und in Teil II ebenfalls sehr kurz kommen wird und Deutschlands Bourgeoisie nach 1989 so ungestört am Weltmarkt zu agieren vermag, liegt daran, dass die multinational zusammengewürfelten Proletarier in Deutschland als die Dauer-Gewinner des kalten Krieges bisher jedenfalls mit ihrer eigenen Bourgeoisie – im schroffen Gegensatz zu den Übergängen zu den zwei hässlichen deutschen Neuordnungsversuchen Europas – im Gleichschritt der neu-deutschen Volksgemeinschaft marschieren. Ein empirischer Beleg für Marx' Akzentsetzung:

 

„Das Proletariat wird revolutionär sein oder es wird nicht sein."

 

 

 

 

Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

Wertkritischer Exorzismus
Hässlicher Deutscher
Finanzmarktkrise