A.
Unter dem Erfahrungsdruck des Grauens des ersten Weltkrieges gründete sich 1922 die auf einen europäischen Föderalismus zielende Paneuropa-Union. Die Phrase von Vereinigten Staaten von Europa (VSE) kam in der kurzen Phase der deutsch-französischen Versöhnung zwischen 1925 und 1929 in Mode und wurde 1926 ins SPD-Programm aufgenommen.
Dies war die Neuauflage der im ersten Weltkrieg desaströs gescheiterten sozialdemokratischen Illusion des Ultraimperialismus, wonach die wachsende Verflechtung der Nationalökonomien den Krieg zwischen den „Partnern“ unterbinde.
Nach dem mit vorher ungeahnten militärischen Materialschlachten geführten ersten Weltkrieg war allen reflektierten Zeitgenossen klar, dass die allgemeinen gesellschaftlichen Produktivkräfte weit über den nationalen Rahmen hinausdrängten – ohne eine politische Antwort auf bürgerlicher Grundlage anbieten zu können. Trotzki hatte seinerseits in der Phase der noch nicht abgeebbten revolutionären Flut in Deutschland 1923 die Parole der sozialistischen VSE als letzten konsequenten Ausweg1 ausgegeben. Die genauere Skizzierung der Entwicklung der Ideologien von einem Vereinten Europa ist Gegenstand von Teil II der Arbeit. Darin wird auch der Kampf Deutschlands, Frankreichs und Englands um den Kurs der Integration Europas – Europäischer Bundesstaat vs. Föderation der 'Vaterländer' vs. Europäische Freihandelszone – bis in die Gegenwart der EU nachgezeichnet.
Nach dem zweiten Weltkrieg waren sämtliche Teilnehmer der 1952 in Gang gesetzten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS geläufig: Montanunion)2 als praktischem, notwendigem erstem Schritt der europäischen Integration über die Wahrheit im Bilde, die der NS-Europäer überhaupt: Werner Daitz, Mitglied des Außenpolitischen Amtes, 1940 in einer Denkschrift von sich gab:
"Wir müssen grundsätzlich immer nur von Europa sprechen, denn die deutsche Führung ergibt sich ganz von selbst aus dem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, technischen Schwergewicht Deutschlands und seiner geografischen Lage."3
Was blieb dem Flickenteppich von europäischen Staaten mit kleinen nationalen Binnenmärkten anderes übrig, als sich in der nach 1957 gegründeten EG sukzessiv um die von Exporterfolg zu Exporterfolg eilende industrielle ökonomische Vormacht BRD zu aggregieren, wenn sie als einzelne Kleinstaaten nicht im Orkus der Geschichte untergehen wollten? Im Verlauf des von den Westalliierten zur Westeinbindung der jungen BRD selbst angestoßenen Prozesses der europäischen Integration wandelte sich die Phrase von Europa entsprechend obiger platten Wahrheit zur alten deutschen Chiffre für Europa als Bundesstaat unter impliziter oder expliziter deutscher Führung als funktionale Zweckgemeinschaft zum Aufstieg zur Weltmacht Europa. Die ökonomische EU-Vormacht BRD wurde nun durch die jetzige Staatsschuldenkrise 2010 erstmals zur offenen politischen EU-Führung getrieben und kann sich nicht mehr wie während 30 Jahre Genscherismus hinter multilateralen Rockzipfeln verstecken. Die BRD wird dieser offenen politischen Führungsrolle nicht im Sinne der proklamierten „Gemeinschaft“ gerecht. Die „Partner“ bemängeln, dass Deutschland in der Krise zu wenig für Europa tue. Dahinter steht für das europäische Ausland die Wahrnehmung, dass die EU für Deutschland nur Mittel für seinen „höheren“ Zweck ist.
Deutschland sorgt sich um den Bestand der Eurozone nicht deren selbst wegen, sondern um seine hiermit verbundene, erhoffte Weltmachtrolle, wofür „Europa“ in historischer Kontinuität als Deckname herhalten muss. Der „Hegemon“ ist nach der zu beurteilenden politischen Praxis unfähig, die EU von 27 Staaten politisch zu führen. Seine autistischen Diktate führen „Europa“ ins Chaos anstatt zur erhofften schlagkräftigen Einheit4. Mit dieser „supranationalen“ EU-Politik wird allerdings zugleich offensichtlich, dass jedes national-gesellschaftliche Gesamtkapital als spezifisches funktional-ökonomisches Gefüge seiner jeweils spezifischen nationalen Politik bedarf. Der dritte voluntaristische Neuordnungsversuch Europas durch Deutschland zielt auf die vollständige „Vergemeinschaftung“ von mehr als zwei Dutzend Nationalstaaten zu Vereinigten Staaten von Europa (VSE). Hiermit belegen die Denker und Lenker der Gegenwart ihre Begriffslosigkeit der Relation des prioritären nationalen Rahmens des Kapitalverhältnisses gegenüber der integralen Funktion des Weltmarkts oder dessen großräumigen Teilmärkten für die konkurrierenden Nationalstaaten. Die Lösung dieses Widerspruchs ist mit dem Primat der Politik nicht friedlich zu lösen.
Dies belegt die Empirie der letzten Jahre evident: Ende Juli 2012 lief die Euro-Krisendiplomatie heiß und die Nerven der Akteure lagen blank. Beispielsweise erklärte der konservative Euro-Gruppenchef Juncker Deutschland als Teil des „Euro-Krise“-Problems und gab laut Reuters den Eindruck der „Partner“ so wieder:
"Juncker monierte, dass Deutschland sich den Luxus erlaube, 'andauernd Innenpolitik in Sachen Euro-Frage' zu machen. 'Warum behandelt Deutschland die Euro-Zone wie eine Filiale?' CSU-Politiker Dobrindt stellte daraufhin den Verbleib des Luxemburgers im Amt als Euro-Gruppen-Chef infrage. Zudem bezeichnete Juncker einen Euro-Austritt des von der Pleite bedrohten Griechenland, wie er in CSU und FDP zuletzt gefordert wurde, als Geschwätz. 'Das war grenzwertig', kommentierte Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer.“5
Wie es wohl kommen mag, dass die EU-“Partner“ sich als deutsche 'Filiale' behandelt fühlen? Die Reaktion der germanischen Herrenmensch-Mania: geradezu reflexartig bissen die Wachhunde der deutschen Bourgeoisie als selbsternannte Personalentscheider in EU-Angelegenheiten sofort drohend zurück.
Schon seit 2011 rückten die deutschen politischen Promotoren angesichts der Schwäche der „Partner“ aus der Deckung ins öffentliche Scheinwerferlicht und künden ihrem dumm gehaltenen Volk seither mit Engelszungen das deutsche Vorhaben, „ihre Filialen“ als politische EU-Vollunion supranational in Brüssel zu zentralisieren. So am 24.06. 2012 vor dem EU-Gipfel zur Festlegung der EU-Route der Finanz- und Wirtschaftspolitik beispielsweise der gewiefte Oberzocker Gerhard Schröder:
„Ich weiß wohl, dass diese Veränderungen nur nach einem langen Prozess erreicht werden können. Nicht alle in Europa werden bereit sein, diesen Weg mitzugehen. Wir werden ein Europa der 'zwei Geschwindigkeiten' haben, mit einem Kerneuropa, das schneller politisch zusammenwächst, aber offen für weitere Mitstreiter sein muss. Um diesen langfristigen Prozess zu beginnen, brauchen wir wieder einen Europäischen Konvent, der hierzu Vorschläge erarbeiten muss. Wir sollten hierzu den Impuls geben, wie 1999 zum 'Grundrechtekonvent' und 2001 zum 'Konvent über die Zukunft Europas', der einen Verfassungsentwurf vorlegte.
Die Entscheidungen der nächsten Monate werden zeigen, welche Rolle Europa in der Welt des 21. Jahrhunderts spielen wird. Die Koordinaten in der internationalen Politik verschieben sich, und zwar nicht zugunsten Europas: Länder wie Brasilien, Indien und China gewinnen stetig wirtschaftlich und politisch an Macht. Ich bin überzeugt: Nur ein vereintes Europa hat eine Chance im internationalen Wettbewerb, denn ein Nationalstaat alleine, selbst das starke Deutschland, ist zu schwach, um wirtschaftlich wie politisch mithalten zu können.“6
Die Drohung mit der „chinesischen Gefahr“ und des damit verbundenen „Bedeutungsverlustes“ „Europas“ – gemeint ist jener Deutschlands und nicht jener Andorras – muss nun schon seit Jahren gebetsmühlenartig als Zustimmungs-Keule herhalten. Sein Zocker-Compagnon Dr. honoris causa Joseph Fischer trommelte in seinen regelmäßigen Gastbeiträgen in den führenden deutschen bourgeoisen Blättern seit zwei Jahren in Fortsetzung seiner Berliner „Grundsatzrede“ von 2000 für eine EU-Vollunion und malt ebenfalls den ansonstigen Niedergang „Europas“ in der Welt an die Wand. In seiner gekonnten Rabulistik brachte er Joschkas und Gerhards innerstes Dilemma auf den Punkt: Deutschland ist für Europa zu groß und für die Welt zu klein. Der politische Abenteurer meint mit „zu klein“ selbstverständlich Deutschlands unwiderruflichen relativen Niedergang als erhoffte Weltmacht für den Fall, dass sein Europa-zuerst-Projekt nun zum dritten Mal scheitern sollte und die BRD in Europa isoliert operieren müsste. Nicht vom territorialen Umfang her, sondern ökonomisch ist die BRD „zu klein“, um allein zur Weltmacht aufzusteigen, „zu groß“ ist sie für das Europa der ökonomischen Leichtgewichte und unteren Schwergewichte des Weltmarkts. Für Fischer ist seit 2004 auch das Kerneuropa seiner Grundsatzrede von 2000 zu „klein“: nur die ganze EU vermag demnach Chinas Aufstieg etwas entgegen setzen zu können.
Wenn der Niedergang der EU-„Partner“ nach der mit staatlichem Defizit Spending zeitlich verschobenen und durch die Austeritätspolitik umso schärfer wiederkehrenden industriellen Überproduktionskrise zur Kenntlichkeit kommt, ist das „klamme“ Deutschland andererseits „zu klein“, um alle potentiellen Pleitestaaten der EU rettend unter seine Fittiche zu nehmen. Und: mit einem Europa von lauter Weltmarktverlierern vermag der Hegemon keinen „starken Staat“ auf dem Weltparkett zu machen. Da lockt jedweder überstürzte deutsche Sonderweg. Die historisch gefasst umfangreichste Weltmarktkrise kann ihrerseits allerdings auch Deutschland und noch andere Kaliber wie die USA und China schneller „klein“ kriegen, als bisher geahnt wird.
Finanzminister Schäuble ließ schon im August 2011 vor dem Gipfel im Oktober zur Beschlussfassung der „Fiskalunion“ in harmlos daherkommender schwäbischer Manier die VSE-Katze wie folgt aus dem diplomatisch-bürokratischen Sack:
„Bereits bei der Einführung des Euros sei Deutschland für eine politische Union gewesen, habe dafür aber keine Mehrheit gefunden, sagte Schäuble. Er hoffe, dass der Euro 'schrittweise' zu einer solchen Union führen werde. 'Die meisten Mitgliedstaaten' seien aber 'noch nicht vollständig bereit, die notwendigen Einschränkungen nationaler Souveränität hinzunehmen', sagte der Minister und ergänzte: 'Aber glauben Sie mir, das Problem ist lösbar.'“7
Von wegen, Deutschland habe die „politische Union“ seit dem Jahr 2000 vorgeschlagen. Derselbe Herr visierte schon im immer wieder zitierten Schäuble/Lamers-Papiers von 1994 explizit die „politische Union“ an und dort wurde wie oben auch die Euro-Währungsunion von ihm als „harter politischer Kern“ der EU eingestuft. Jetzt in der Krise bewährt sich dieser „politische Kern“ als „harter“ deutscher Hebel zur Durchsetzung des tiefen finanzpolitischen Integrationsschrittes Richtung EWWU.
Schäubles obige Wortwahl ist ein Paradebeispiel deutscher desinformierender Scheinheiligkeit pur vor dem Heimpublikum:
Erstens betreibt Deutschland – wie in Teil II hinreichend empirisch belegt werden wird – nicht erst seit 1994 und erst recht nicht erst 2000, sondern von Anfang der EWG 1957 an8 seinen spezifischen Kurs einer europäischen politischen Union von oben, ohne je seinen eigenen Souverän über tiefgreifende EU-Integrationsschritte ins Bild zu setzen, geschweige denn, abstimmen zu lassen. Diese Kontinuität der deutschen Europapolitik, die als Essenz im Maastricht-Vertrag von 1992 kulminierte, brachte ja gerade Maggi Thatchers zitierte klare Worte ans große Publikum, dass Deutschland sich nicht in Europa verankern will, sondern Europa in Deutschland zu verankern trachtet.
Nach der Einführung des Euros wurde die politische Vollunion dann nach 2000 von keinem „Partner“, sondern nur von der BRD als nächstes Aufgabenbündel explizit auf die EU-Tagesordnung gehievt. Die BRD inszenierte, wie oben geschrödert wurde, 1999 den Grundrechtekonvent und 2001 jenen Konvent9, der den Entwurf des späteren Lissabon-Vertrags als eigenständiger Verfassung eines europäischen Bundesstaats ausarbeitete. In ihm kam der deutsche EU-Kurs Richtung VSE zur Kenntlichkeit. Dieser Vertrag wurde dann in Frankreich und den Niederlanden durch Referenden abgeschmettert, um kurz darauf in geschönter Formulierung desselben Inhalts deutscher Handschrift 2007 von den EU-„Partnern“ unterzeichnet zu werden.
Zweitens unterschlägt das schwäbische Cleverle die Tatsache, dass die „politische Union“, sprich: VSE, ein langer etappenreicher Weg wäre, wo jeder Zwischenschritt der EU-Vertragsveränderung des Konsens aller EU-“Partner“ bedarf und keine „Mehrheitsentscheidung“ nach deutschem Gusto sein kann.
Drittens kann die erzwungene „Problem“lösung, die Probleme der anderen letztendlich nach deutscher Wirtschaftskonfession durch deren erhöhte exportorientierte „Wettbewerbsfähigkeit“ lösen zu wollen, die Probleme höchstens verstärken, da diese Staaten durch gravierende wirtschafts- und finanzpolitische Einbußen keinerlei langfristige Investitionen in Forschungs- und Entwicklungsarbeit mit nachfolgenden Industrieansiedlungen tätigen können. Sie sind schon jetzt faktisch ihrer nationalen Souveränität beraubt und drohen zu deutschen Vasallen degradiert zu werden – also nicht nur wie bisher zu ökonomisch-abhängigen Satelliten der BRD, sondern zu deren höriger politischer Gefolgschaft. Denn das deutsche Gesamtkapital versucht seinem Größenumfang und Entwicklungsgrad nach „natürlich“, sämtliche Politiken der EU übergreifend zu bestimmen – wie beispielsweise 2013 bei der Blockade der EU-CO2-Richtlinie für die Automobilindustrie. Dabei werden die unterschiedlichen bis widersprüchlichen Reproduktionsbedingungen der schwächeren und kleineren übrigen nationalen Gesamtkapitale unwiderruflich untergraben10. Diese Nationalstaaten werden durch eine vom relativ übergewichtigen deutschen nationalen Gesamtkapital planmäßig induzierte europäische Arbeitsteilung als deutsche ökonomische Satelliten reorganisiert. Die Folge ist die unausweichliche Verstärkung der ungleichmäßigen Entwicklung der nationalen Gesamtkapitale und die Zunahme der zentrifugalen nationalen Kräfte in der EU sowie innerhalb der Nationalstaaten selbst11.
Bei der Durchsetzung seiner exportorientierten Wirtschaftskonfession spielt den agierenden Agenten des deutschen nationalen Gesamtkapital stets unausgesprochen die Resultante des nur von oben geführten Klassenkampfs der neuen deutschen Volksgemeinschaft, insbesondere der letzten 10 Jahre, in die Hände.
Mit der Agenda 2010 setzte die Schröder-Hartz-Connection den „Partnern“ 2003 die Vorgaben der deutschen „Arbeitsmarktreformen“ als Pistole auf die Brust: Der deutschen „Wettbewerbsfähigkeit“ nacheifern oder für immer abgehängt werden im Kampf um den Weltmarkt! Und es riecht danach, dass die GrossKotzer mit einer sauberen „Agenda 2020“ den Druck spiralförmig nach innen und außen verstärken werden, um der näher kommenden „gelben Gefahr“ zu begegnen und der deutschen „Problemlösung“ der „politischen Union“ der EU durch Druck an der Arbeitsmarktfront schrittweise näher zu kommen.
Im BDI-Manifest für Wachstum und Beschäftigung – Deutschland 202012hieß es schon 2008 im Vorlauf zur Bundestagswahl 2009 unter: III. Wertschöpfung durch Vollbeschäftigung: Die Entfesselung des Arbeitsmarktes. Dass dort so Nickeligkeiten wie Lohnzurückhaltung und längere Lebens- und Jahresarbeitszeiten gefordert werden – wer hätte dies vermutet! Schließlich sind die Punkte des Lambsdorff-Papiers von 1982 noch längst nicht abgearbeitet! Doch da kann Abhilfe geschaffen werden: Der „Staatsverlag“ ließ zu Jahresanfang 2013 einen bekanntermaßen Scharfmacher dafür plädieren, den seit Helmut Schmidt bis heute gültigen „Steinzeit-Keynesianismus“ durch einen „neuen, deutschen Thatcherismus“13 zu ersetzen. Dies deutet an, dass Berlin dem deutschen Michel und folglich den EU-„Partnern“ die Daumenschrauben der deutschen Wirtschaftskonfession zwecks Trimmen der „Wettbewerbsfähigkeit Europas“ demnächst noch schärfer anzuziehen gedenkt.
Übrigens ist auch dies alles ein ganz „natürliches“ Vorgehen der führenden Bourgeoisie Europas und nichts Ehrenrühriges im bürgerlichen Sinne. Dies bleibt so, solange die Proletarier diese Offensiven der Bourgeoisie über sich ergehen lassen, anstatt eine geordnete Defensive aufzubauen. Erst dann erschallt das laut, was jetzt zwar viele wissen, die leise sind: Der Klassenkampf tobt längst in ganz Europa. In Deutschland wird er bisher noch erfolgreich gewerkschaftlich als Volksgemeinschaft ge-co-managt.
Diese Einheit vom Agieren der Kapitalisten und Lohnarbeiter des deutschen Standorts des Kapitals reproduziert tagtäglich die deutsche Wirtschaftskonfession à la Friedrich Naumann selig, vermittelt über die Zirkulation des Waren- und Geldkapitals im gesamten Europa. Politiker des Schlages Schäuble sind die persönlichen Träger dieses ökonomischen Schwertes. Sie setzen es als „Wettbewerbsspirale“ ein zur „Lösung“ des „Problems“, dass die EU-„Partner“ zentrale Bestandteile ihrer nationalen Souveränität partout nicht in die Klauen des supranationalen EU-Organs Namens EU-Kommission übergeben wollen. Denn sie wissen, dass die Brüsseler Klauen die vom bürokratischen Apparat breitgetretenen Krallen des deutschen Reichsadlers sind. Das von Schäuble genannte „Problem“ der „Unwilligkeit“ der EU-Partner zur tieferen Integration Richtung VSE ist von den nationalen Interessengegensätzen her politisch nicht lösbar – außer durch polit-ökonomische Schwerthiebe, zunächst zur Erzwingung der Durchführung der Fiskalunion.
Viertens unterschlägt die schwäbische Zuversicht, dass es dem ökonomischen EU-Schwerstgewicht gemäß der obigen Offenheit des Herrn Daitz von 1940 leicht fällt, Souveränität an die supranationalen Organe nach Brüssel abzugeben, da diese schon aus schlichten Gründen der Selbsterhaltung und -ermächtigung wie das Management jeder Aktien-Gesellschaft nach der Pfeife der ökonomischen Vormacht tanzen müssen. Dass andere Länder „noch nicht vollständig bereit“ sind, zentrale nationale Souveränität an einen deutsch ausgerichteten Apparat in Brüssel abzugeben, in dessen Entscheidungsfindungen sie kein Gewicht haben, wer hätte das gedacht?
Fünftens möchte Deutschland alles „Vergemeinschaften“ – außer den Schulden. Eine äußerst lustige Aussicht für die „Partner“. Sich in einer Zollunion und Währungsunion in einem EU-Binnenmarkt ungeschützt niederkonkurrieren lassen, sich gegen den daraus resultierenden ökonomischen Niedergang bis über die Halskrause verschulden müssen, daraus resultierender Kapitalflucht und zunehmendem Brain-Drain in die BRD ratlos zusehen und dann die Suppe alleine auslöffeln! Dabei sind die germanischen Schnäppchenjäger schon mit ihrem bewährten Treuhandanstalts-Modell zur Verschleuderung des nationalen Tafelsilbers zur Stelle. Doch all dieser Ausverkauf der EU-peripheren Nationalökonomien reicht nicht zur Krisenbewältigung aus.
Wenn Merkel nach dem EU-Gipfel Ende Juni 2012 von „Leistung und Gegenleistung“ raunte, dann will Mutti den Michel langsam darauf vorbereiten, dass eine Euro-Währungsunion ohne eine gemeinsame Haftung der Staatsschulden nicht langfristig zu haben sein wird. Da Deutschland nach all dem hier zusammengetragenen empirischen Indizienmaterial an seiner phantasmagorischen Großmachtrolle eines Europa-zuerst-Projekts verbissen festhalten muss, wird es spannend, wie Mutti die notwendigen transnationalen „Transferleistungen“ ihrem medial aufgeheizten sozial-chauvinistischen Kindergarden in der Bundestagsperiode 2014 -2017 verklickern wird. Dazu kommt zusätzlich das weitere aktuell 2014 deutsch geschmiedete heiße Eisen einer funktionsfähigen GASVP für den zukünftigen Ruhm Europas: Mehr Kriegseinsätze ankündigen, wie es die gesamte GroKo-Bande samt geistlichem Freiheits-Führer Anfang 2014 unter Kriegsgeheul propagandistisch trieb, ist das eine. Dies gegen eine bis heute kriegsmüde Volksgemeinschaft mit einer unerfahrenen desolaten Reichswehr umsetzen zu können, ist etwas anderes.
Die europäische „Schuldenvergemeinschaftung“ ist derweil hinter den Kulissen schon mit eingearbeitet: Die Verhandlung der Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Europäischen-Stabilitäts-Mechanismus (ESM)14 („Rettungsschirm“) im Zusammenhang des „Fiskalpakts“ brachte das Kleingedruckte des EMS an die Öffentlichkeit. Der Weg zur gemeinsamen unbegrenzten Haftung aller Euro-„Partner“ unter deutschem Kuratel ist per faktischem Ermächtigungsgesetz des Gouverneursrat, der aus den Finanzministern der Mitgliedstaaten besteht, sowie der EZB und EU-Kommission schon weit beschritten.
„Der Sprengstoff des Rettungsschirms ESM steht im Kleingedruckten: Für die Haftung gibt es keine Obergrenze. Und das Parlament wird entmachtet.“15
Schäubles obige Sprache ist die niederträchtig heuchlerische – weil sich verdruckst ahnungslos gebende – deutsche Art und Weise der „Problemlösung“: die ökonomisch unterlegenen Länder Europas durch den eigenen tiefen EU-Integrationskurs „schrittweise“ in die Ecke des Staatsbankrotts zu treiben und den „Partnern“ dann kaltschnäuzig die deutsche Wirtschaftskonfession mit dem Rückenwind der Krise aufzunötigen. Sodann pflegt die deutsche Lesart diesen Akt der Unterwerfung noch höhnisch mit dem Etikett „freiwillig“ zu versehen. Das kann unmöglich auf allen politischen Feldern – vor allem der Außen-, Sicherheits-, und Verteidigungspolitik – durchgezogen werden. An Rissen in der erzielten Höhe des EU-Integrationsprojektes – wie den verschiedensten Infragestellungen des Schengen-Abkommens – wird erst sichtbar, wie weit die Integrationsbreite und -tiefe tatsächlich gediehen ist – und wie brüchig sie ist.Die Europa-Option Deutschlands als Instrument seines Weltmachtphantasmas entpuppte sich in der Staatsschuldenkrise gerade auch auf dem scheinbar höchst erfolgreichen Feld der EWWU als Fata Morgana16.
B.
Im Herbst 2011, drei Monate nach obigem Schäuble-Interview, kochte die ausländische Presse angesichts der unverfrorenen deutschen Fiskalunions-Vorgaben:
„Selbst in der ehrwürdigen Londoner 'Times' greift ein frustrierter europhiler Anatole Kaletsky zur rhetorischen Waffe und eröffnet seinen Kommentar mit:
'Wenn Clausewitz Recht hat und Krieg die Weiterführung von Politik mit anderen Mitteln ist, so ist Deutschland
wieder im Krieg mit Europa - wenigstens in dem Sinne, als deutsche Politik in Europa charakteristische Kriegsziele zu erreichen versucht - die Verschiebung internationaler Grenzen und die
Unterwerfung fremder Völker.'
'The Times', London, 23. November
Solch schweres Geschütz wird aber nicht nur auf der Insel aufgefahren. In Paris zieht der Ökonom, Mitterrand- und Sarkozy-Berater Jacques Attali, ebenfalls die ganz große Bilanz - und läuft dafür in Verdun los: nach 1914, 1919, 1933 und 1936 drohe 2011: 'Europas 5. Selbstmord'.
'Deutschland und Frankreich waren, einer nach dem anderen, im letzten Jahrhundert vier Mal in der Situation, wo sie durch absurde oder beschämende Entscheidungen Europa in ein Ruinenfeld verwandeln konnten. Und sie taten es. […] Heute ist es wieder an Deutschland, in seiner Hand die Waffe zum kollektiven Selbstmord des fortschrittlichsten Kontinents der Welt zu halten. Wenn es sich weigert, den engen Weg zu beschreiten, der zwischen den Stützungskäufen der EZB, der Ausgabe von Euro-Bonds und einer Vertragsänderung im Sinne einer leichteren Sanktionierung der Laxheit der einen und dem Egoismus der anderen verläuft, dann kommt die Katastrophe.' 'Slate', Paris, 22. November
Besagten Weg wünscht man sich auch in Italien. Berlin sei unsolidarisch, schreibt die Tochter von EU-Gründungsvater Altiero Spinelli, die Kommentatorin Barbara Spinelli in all dem vom Vater geerbten Europafieber:
'Die Art und Weise, wie Deutschland die EU lenkt, wird immer absonderlicher. [...] Das Verwirrende an der Strategie der Merkel-Regierung ist eine Idee, die sich in der Krise eingenistet hat. Es handelt sich eher um eine Ideologie, die ihre Wurzeln tief in der nationalen Wirtschaftskultur hat und auf die Zeit zwischen den Weltkriegen zurückgeht. Es ist die sogenannte 'Haus in Ordnung'-Doktrin, laut der ein Staat erst vor seiner eigenen Tür kehren muss, bevor er auf internationale Kooperation und Solidarität zählen kann. In den Augen der dogmatischsten Verfechter dieser Doktrin dienen internationale Instanzen wie die supranationale EU nicht dazu, gemeinsame Politik zu beschließen: Eher kontrolliert man sich dort gegenseitig, dass jeder auch seine Hausaufgaben gemacht hat.' 'La Repubblica', Mailand, 24. November“17
So stellte sich die EU-Lage für die veröffentliche Meinung in den drei schwergewichtigsten EU-„Partner“-Ländern Ende 2011 dar. Bis Sommer 2012 wurde dann von allen Seiten mit zunehmend heftigen Drohungen gearbeitet, Deutschland stieß mit seinen Erpressungsmanövern im Sommer 2012 an die Grenzen seiner politischen Durchsetzungsfähigkeit in der EU. Die EU-Organe steck(t)en durch die Mannigfaltigkeit der nationalen Interessengegensätze in einem Entscheidungen lange hinauszögernden zähen Räderwerk von Verhandlungsmarathons in dichter Abfolge. Danach beruhigte sich die Lage, da die Ankündigung der EZB, Staatspapiere der klammen Euro-Länder, wenn nötig, unbegrenzt aufzukaufen, den Staatsanleihenmarkt temporär stabilisierte. Deutschland wurde hiermit momentan der Druck genommen, selbst den aggressiven politischen Zuchtmeister zu spielen. Angela spielte in Sichtweite zur Bundestagswahl 2013 den verbalen Erzengel der Deutschen. Ob die Taktik auf den wirtschaftspolitischen Feldern länger aufgeht, steht zu bezweifeln. Die „schwachen“ Südländer halten in diesem finanz- und geldpolitischen Vabanquespiel immerhin gleichzeitig Deutschlands Weltmachtambitionen als Faustpfand in der Hand. Wie deren Blockade Deutschlands Forderung nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat schon 2005 zunichte machte, so können sie das Europa-zuerst-Projekt des Möchtegern-Hegemons als heraus posaunte Voraussetzung der deutschen Weltmachtrolle zu Schande reiten, anstatt alleine unterzugehen.
Wie das deutsche Pokern um eine politische EU-Vollunion als europäischer Bundesstaat auch weitergehen mag, so gibt es genügend Warnungen und Konzepte, in welche Richtungen Berlin drängen wird oder soll. Der deutsche Druck auf die „Partner“ bezüglich einer Fiskalunion seit Anfang 2012 – die mit den Instrumenten Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und danach Europäischer Stabilitätsmechanismus(ESM) faktisch zugleich Funktionen eines Euro-IWF gleichkäme – ließ so manche Zeitgenossen Fraktur reden und zur Feder greifen. Exemplarisch eine zugespitzte US-amerikanische „Jahresbotschaft“ von Anfang 2012:
„Newsletter vom 05.01.2012 – Wie Preußen im Reich – BERLIN/WASHINGTON
(Eigener Bericht) - Zum Jahresbeginn 2012 warnt ein langjähriger politischer Berater der Washingtoner Diplomatie Berlin vor einer Fortsetzung seiner Krisenpolitik. Der Bundesrepublik sei es in den letzten Jahren gelungen, ihr 'inoffizielles Wirtschaftsimperium in Mitteleuropa wiederzubeleben'. Damit habe sie eine herausragende Position erreicht. Das deutsche Bemühen jedoch, in der derzeitigen Eurokrise eine 'politische Union' und damit die Unterordnung der anderen EU-Staaten zu erzwingen, werde scheitern, urteilt Tony Corn, einst Dozent am Foreign Service Institute der US-Regierung, einer zentralen Ausbildungsstätte des US-Außenministeriums: 'Die deutschen Eliten' liefen Gefahr, ihre exzellente 'Stellung zu verlieren', indem sie versuchten, 'aus den siebenundzwanzig Mitgliedern der Europäischen Union ein modernes Gegenstück zu den siebenundzwanzig Bundesstaaten des Deutschen Kaiserreichs zu machen'. Dies werde im Ausland durchaus als Versuch verstanden, einen 'sanfteren, freundlicheren 'Anschluss'' zu erzwingen - und es werde entsprechend auf Widerstand stoßen. Die 'politische Führung Deutschlands' zeige zur Zeit 'denselben Mangel an Staatskunst wie am Vorabend des Ersten Weltkriegs'.
Gegen die USA und China
Ein Element mit zentraler Bedeutung insbesondere auch für die aktuelle Eurokrise sieht Tony Corn im deutschen Streben nach einer globalen Führungsrolle. Berlin halte sich für das Kraftzentrum des europäischen Kontinents inklusive dessen östlicher Verlängerung nach Sibirien und Zentralasien ('Eurasien') und meine fähig zu sein, mit den Weltmächten USA im Westen und China im Osten zu konkurrieren. In der deutschen Hauptstadt stehe nur noch zur Debatte, ob man dazu allein oder aber im Verbund der EU antreten wolle. 'Die deutschen Eliten scheinen zu glauben, es sei Deutschlands Bestimmung, zum 'Reich der Mitte' Eurasiens zu werden, und ihr Land sei stark genug, das entweder 'im Alleingang' zu schaffen oder den Europäern eine Föderation aufzuzwingen", schreibt Corn. Den Gedanken, es 'im Alleingang' schaffen zu können, hält der US-Experte für 'lächerlich' [1]: Wie knapp 82 Millionen Deutsche langfristig größere Macht bilden sollten als 1,3 Milliarden Chinesen, gestützt auf eine boomende Wirtschaft, sei ihm vollkommen unerfindlich. Den Versuch, eine europäische Föderation zu bilden, meint Corn hingegen hinter der aktuellen Krisenpolitik der Berliner Regierung erkannt zu haben.
Geoökonomie
Corn bezieht sich in seiner Analyse unter anderem auf den Außenpolitik-Experten Hans Kundnani vom European Council on Foreign Relations.[2] Dieser hob im vergangenen Sommer die zentrale Rolle hervor, welche die Wirtschaft beim Ausbau der globalen Machtstellung Deutschlands spielt. Demnach verfolgt Berlin nicht nur mit aller Kraft seine ökonomischen Interessen, es nutzt seinen wirtschaftlichen Einfluss auch, um andere Staaten zur Unterordnung unter seine Vorstellungen zu zwingen. Kundnani spricht - in Anlehnung an den Begriff 'Geopolitik' - im Fall Deutschlands von einem Konzept der 'Geoökonomie'. Ein Beispiel ist ihm zufolge das deutsche Vorgehen in der Eurokrise: Berlin verhindere, gestützt auf ökonomische Macht, alles, was wie Eurobonds oder der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB die Inflation fördern oder sich anderweitig negativ auf die deutschen Exporte auswirken könnte - und damit die Konkurrenzfähigkeit insbesondere gegenüber China schmälerte. Dafür nehme die Bundesregierung in Kauf, dass ihre harte Austeritätspolitik die Länder an der Europeripherie gravierend schädige und die EU an den Rand des Zusammenbruchs treibe. Berlin lässt demnach südeuropäische Staaten sich in den Ruin sparen, um auch in Zukunft ökonomisch mit China rivalisieren zu können - an der Spitze der Weltwirtschaft.
Merkmale der Dominanz
Der US-Analytiker Corn verweist zusätzlich darauf, dass die Bundesregierung die Eurokrise nutzt, um die übrigen EU-Staaten weitreichender Berliner Kontrolle zu unterwerfen. Corn erinnert daran, dass sich führende deutsche Politiker in der Vergangenheit mehrfach für die Transformation der EU in eine Art Bundesstaat eingesetzt hätten. Vor allem Frankreich habe dies bisher verhindern können. In der Eurokrise verlange Berlin nun erneut eine 'politische Union' und sei dabei, sie zu erzwingen - zunächst mit Hilfe von EU-Durchgriffsrechten auf nationale Etats. Widerstand werde wegen des Krisendrucks kaum noch geübt, obwohl die Kräfteverhältnisse die deutsche Dominanz deutlich erkennen ließen: 'Demographisch ebenso wie ökonomisch ist Deutschland heute ein Drittel größer als sowohl Frankreich wie auch Großbritannien.' Auch in den EU-Institutionen schlage sich Berlins größeres Gewicht quantitativ wie qualitativ nieder: Deutschland stelle die meisten Abgeordneten im EU-Parlament und profitiere am stärksten vom System der 'doppelten Mehrheit' im Europäischen Rat; die Europäische Zentralbank (EZB) sei quasi 'ein Clon der Bundesbank'. Corn vergleicht die deutsche Dominanz mit der Vorherrschaft Preußens im Deutschen Reich von 1871: 'Unterhalb von Preußen folgten drei Königreiche von geringerer Bedeutung (Bayern, Sachsen, Württemberg) - wie Frankreich, Großbritannien und Italien heute'. Den kleineren Reichsgliedern entsprächen in der EU die kleineren Mitgliedstaaten. 'Preußens Kontrolle über ein Drittel der Bundesratsstimmen gab ihm ein Vetorecht'; über ein solches verfügten Deutschland und seine engsten Verbündeten im heutigen EU-Zusammenschluss faktisch ebenfalls. [3]
Ein sanfter 'Anschluss'
Corn verhehlt nicht, dass seine Sorge über die deutsche Dominanz in der EU auch daraus resultiert, dass Berlins enge außenpolitische Kooperation mit Moskau den US-Interessen widerspricht. Er hält jedoch den Fortbestand der EU unter den von der Bundesregierung verlangten Rahmenbedingungen für unmöglich, schon aus ökonomischen Gründen: So müsse zumindest die EZB 'nach dem Vorbild der amerikanischen Notenbank umgestaltet werden' [4], ein von Paris zur Rettung aus der aktuellen Krise befürworteter Schritt, dem Berlin sich bislang kompromisslos widersetzt. Corn verweist auch darauf, dass das deutsche Bestreben, ökonomisch nicht weiter hinter China zurückzufallen, faktisch aussichtslos und daher unsinnig erscheint: Man müsse sich der Tatsache stellen, 'dass Chinas Anteil am weltweiten Bruttosozialprodukt (nach OECD-Angaben) den der Eurozone 2013 und den der siebenundzwanzig EU-Staaten 2015 überholen wird'. In Berlin reagiere man darauf mit Hektik; das trage wiederum dazu bei, 'dass die Beziehungen Deutschlands zu Europa weniger von Kooperation als von Zwang geprägt sind'.[5] Infolge dieses Zwangs ähnele die von Berlin forcierte 'politische Union' in den Augen vieler Europäer 'auf unheimliche Weise einem sanfteren, freundlicheren 'Anschluss''.[6]
Eine Botschaft
Corn wendet sich zum Jahresbeginn 2012 mit einer "Botschaft" ausdrücklich 'an die deutschen Eliten'. Anspielend auf Äußerungen deutscher Politiker wie etwa diejenige, dass 'jetzt in Europa deutsch gesprochen' werde [7], schreibt er in einem aktuellen Medienbeitrag, 'das multinationale, von unterschiedlichen Geschwindigkeiten geprägte Habsburgerreich', in dem Nichtdeutsche nicht gezwungen worden seien, 'sich als Deutsche neu zu erfinden', sei 'das einzige Reich' gewesen, 'das jemals den Geist Europas atmete'.[8] Anders habe es sich mit dem brutal germanisierenden deutschen Kaiserreich verhalten. 'Wenn Sie Sehnsucht nach dem Kaiserreich haben, können Sie ja in Ihrem Land die Hohenzollernmonarchie wiederherstellen', schreibt Corn: 'Aber Sie sollten sich ein für alle Mal von dem Gedanken verabschieden, aus der Europäischen Union ein größeres Kaiserreich zu machen.'"18
In dieser Darstellung íst insbesondere die von außen wahrgenommene Selbstüberschätzung Deutschlands hervor zu heben. Dass Herr Corn die deutschen „Eliten“ als die Demiurgen des deutschen EU-Kurses ausmachen will, zeigt die typische bürgerliche Personifizierung gesellschaftlicher Verhältnisse. Dass die Bourgeoisie der personelle Träger des Kapitalverhältnisses ist, heißt eben gerade, dass sie die Gesetzmäßigkeiten der Verwertung des Kapitals mittels ihres politischen Geschäftsausschusses durchdrücken muss, wenn sie bestehen will. Da gibt es keinen voluntaristischen politischen Spielraum fürs eingesetzte politische und intellektuelle Personal. Postmodern wird dies als „Systemlogik“ gewendet. Die Gesellschaft besteht nun mal aus einem Funktionsbündel von zwangsweise kooperierenden Charaktermasken des Kapitals, die den stummen Zwang der Verhältnisse tagtäglich auf erweiterter Stufenleitung reproduzieren. Da hilft kein Personalaustausch – wie Oberhoffnungsträger B. Obama schön illustriert. Yes, we can't. Und andererseits belegt die Karriere von Frau Merkel vom unscheinbaren Kohl-Mädchen zum eisernen Erzengel, wie das politische Zombi-Dasein das machiavellistische Bewusstsein erzeugt.
Vorstehende ausländische Sichtweise des dritten deutschen Neuordnungsversuchs Europas als faktisch Viertes europäisches Reich deutscher Nation ist für deutsche Durchschnittsbürger der Einheitspresse zur Zeit kaum nachvollziehbar, sie wird als neidvolle Anpinkelei abgetan. Für den Michel ist seine Mutti viel zu gnädig mit dem südlichen Kindergarden, aber auch mit dem lahmen Möchtegroß Franzman. Eine gehörige Portion preußische Zucht und Ordnung sollte die Gouvernante in den antiautoritären Laden bringen! Wer dann nicht hören will, muss fühlen! Denn jedem das Seine! Pustekuchen „gütiger“ Hegemon, „wir Musterknechte“ geben den anderen dalli dalli die Richtung des ökonomischen Krieges vor! Daher ist obiges EU-Vasallen-Szenario „natürlich“ nicht nur für deutsche Nationalisten und deren ausländischen Kollaborateure erstrebenswert, sondern auch für die kosmopolitisch agierenden Teile der deutschen Bourgeoisie als der wuchtigen Speerspitze des deutschen Gesamtkapitals.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) machte 2012 als der Hauptrepräsentant des nationalen Gesamtkapitals in einem offenen Brief19 ihres Präsidenten ans interne BDI-Personal erneut klar, dass er für die „politische Union“, sprich die von Mr. Corn kritisierten VSE steht und den Merkel-Kurs der EU-Strukturreformen in der sogenannten Euro-Krise unterstützt. Der BDI-Chief verwies die sich gegen die unbedingte Erhaltung der Euro-Zone zusammenrottenden Familienunternehmen der nationalen Fraktion der Bourgeoisie knallhart in ihre provinziellen Schranken:
„Darüber hinaus verschaffe vor allem der Euro Deutschland das politische Gewicht, um international seine politischen Interessen zu wahren. So sei der deutsche Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt rückläufig. Nur die EU sei ein wirklicher 'Global Player': 'Mit fast einer halben Milliarde Menschen erzeugt sie ein Viertel der weltweiten Wirtschaftsleistung.' Jeder europäische Einzelstaat könne für sich allein kein 'Global Player' sein – selbst Deutschland nicht, schreibt der BDI-Präsident.“20
Wie jedes Mal werden auch hier die europäischen Länder als „Europa“ oder „EU“ ungefragt als deutsche Filialen subsumiert, um die deutschen Großmachtinteressen zu verwirklichen. Die Euro-Kerneuropa-Zone unter deutscher Führung ist – wie zu erwarten war – die organisierende treibende, die zwischenstaatliche Konkurrenz schürende Haupt-Institution des europäischen Integrationsprozesses geworden. Das „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ mit der Euro-Zone als Kernbestandteil ist seit den Maastricht-Verträgen von 1992 das deutsche politische Vabanquespiel um die VSE.
Die Niederlande hielten nach dem EU-Gipfel Ende 2012, auf dem es u.a. um Merkels Vorstoß bindender Reformen zwischen Euro-Ländern und EU-Kommission ging, schon mal kommunikationsstrategisch gegen ihre ungefragte Einverleibung in einen europäischen Bundesstaat:
„Rutte sprach sich zugleich gegen ein föderales Europa aus. Eine politische Union mit einer Art Regierung lehne er ab. 'Ich glaube an ein Europa der Nationalstaaten, die eng zusammenarbeiten in Bereichen, in denen sie gemeinsame Interessen haben wie Währung, Einwanderung, Grenzen. Überall dort, wo es uns Vorteile bringt.'“21
Die Niederlande sind zwar kein ökonomisches Schwergewicht, jedoch jener EU-„Partner“, dessen nationales Gesamtkapital dem deutschen Niveau der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit am nächsten kommt. Die niederländische Ablehnung der deutsch beschwichtigend genannten „politischen Union“ ist zugleich ein deutliches Signal zum anti-zentralistischen Frontaufbau an die eh unwilligen Dänen, Schweden und Briten, an die unter deutschem ökonomischem und politischem Druck stehenden Polen, Tschechen, Slowaken und Ungarn sowie insbesondere an die Adresse der BRD selbst wie an deren kraftlosen Hauptantagonisten Frankreich.
Wenn Herr Rutte an ein pragmatisches Europa gegenseitiger Nutzenoptimierung im Zeichen eines scheinbaren machtpolitischen Gleichgewichts der Hauptkräfte der EU zu „glauben“ vorgibt, so muss jeder aufmerksame Zeitzeuge von solchem Glauben abfallen. Die EU-„Partner“ verstanden seine Signale daher richtig als Aufforderung zum Schließen der Reihen gegen den deutschen Versuch des Durchmarschs zu den VSE. Wenn ein „gesunder“ ökonomischer Euro-„Partner“ Deutschlands diesem die politische Gefolgschaft zum jetzigen Krisenzeitpunkt aufkündigt, so war das niederländische Signal die Aufforderung an Frankreich und England zur offenen diplomatisch formulierten Achsenbildung. Die Niederlande sind von den ökonomischen Kennzahlen her der ideale Prellbock der EU-„Partner“ gegen Deutschlands Durchmarsch Richtung VSE. Nebenbei ist der Tiefseehafen Rotterdam der unentbehrliche Versorgungsnabel der BRD zur Welt – solange der neu eröffnete Tiefseehafen in Wilhelmshaven noch nicht optimal logistisch an den deutschen Süden angebunden ist.
Großbritanniens Chief griff die Vorlage Ruttes schon im Januar 2013 vor den versammelten Wirtschafts- und Politikführungsstäben der führenden Nationen des Weltmarkts auf:
„Cameron definierte die EU als 'Familie demokratischer Nationen, deren wesentliches Fundament der Binnenmarkt, nicht die gemeinsame Währung ist'.
Ausdrücklich distanzierte er sich damit vom Ziel einer 'immer engeren Union' im europäischen Gründungsvertrag.“22
Hier wird die seit 1957 bestehende Kampflinie zwischen dem deutschen Pol einer tiefen Integration zu einem zentralistischen europäischen Bundesstaat und dem Gegenpol eines intergouvernementalen freihändlerischen Staatenbunds Europa explizit ausgesprochen. Deutschland bauchpinselte zum Zeitpunkt Anfang 2013 seinerseits Großbritannien, um Frankreich mit der Neuauflage des Thatcherismus und Agenda 2010 in die Zange zu nehmen und in den Generalangriff auf die lohnabhängige Klasse zu treiben. Merkel ging vor der versammelten „Weltelite“ erneut in die Offensive und forderte nach dem „Fiskalpakt“ konsequenterweise als nächsten Integrationsschritt einen „Wettbewerbspakt“:
Newsletter vom 28.01.2013 - Der deutsche Glaube ans Sparen
BERLIN (Eigener Bericht) - Ungeachtet zunehmender internationaler Kritik forciert Berlin die deutschen Exporte und sucht der gesamten Eurozone eine entsprechende, für die Weltwirtschaft hochgefährliche Struktur zu oktroyieren. Wie aktuelle Daten des Statistischen Bundesamts sowie Berechnungen von Wirtschaftsforschungsinstituten bestätigen, gründet das Wirtschaftswachstum der Bundesrepublik immer stärker auf Exporten. Logische Kehrseite ist, dass viele Abnehmer der deutschen Ausfuhren ein steigendes Leistungsbilanzdefizit aufweisen und in eine fatale Verschuldungsspirale geraten. Als letzter Ausweg erscheinen Währungsabwertungen, die laut Ansicht von Finanzexperten in einen 'Währungskrieg' münden könnten - gravierende politische
Spannungen und ökonomische Verwerfungen wären die Folge. Dessen ungeachtet will Berlin die Eurozone zu einem exportzentrierten Wirtschaftsraum nach deutschem Modell umformen; bereits verabschiedete drakonische Sparprogramme ('Fiskalpakt') und in Planung befindlicher massiver Lohnkahlschlag ('Pakt für Wettbewerbsfähigkeit') sind das Mittel dazu. Vor allem in Südeuropa droht dies die Verelendung weiter zu verschlimmern.“23
Erwarteterweise rückte Schweden ebenfalls gleich in die anti-supranationale EU-Front ein. Sein EU-Engagement galt stets nur einem gut funktionierenden Binnenmarkt. Dessen Premier erteilte Merkels „Wettbewerbspakt“ sofort eine klare Absage, nahm den britischen Ball auf und erklärte diplomatisch:
„Reinfeldt sprach sich auch dafür aus, um einen Verbleib Englands in der EU zu kämpfen: 'Eine EU ohne England wäre sehr schlecht. London ist für uns ein wichtiger Verbündeter in Fragen der Entwicklung des EU-Binnenmarktes, für Europas digitale Agenda und mehr Freihandel.'
Für den Vorstoß des britischen Premiers David Cameron, Vollmachten aus Brüssel in die Nationalstaaten zurückzuholen, zeigte Schwedens Regierungschef Verständnis: 'Das stoppt vielleicht diejenigen in der EU, die immer mehr Zentralismus wollen.'“24
Ab Anfang 2013 suchten also die Freihandels-Nationen gegen Deutschlands EU-Integrationsdiktate das öffentliche Kommunikationsfeld. Ihre gemeinsame Stoßrichtung zeigt die hinter der diplomatischen Maske aufgebaute Front einer großen Anzahl von EU-„Partnern“ gegen Deutschlands Integrationskurs Europas mit dem Ziel eines zentralistischen europäischen Bundesstaats.
Wie die europäischen Freihändler die Welt und die EU darin sehen, gab London Anfang 2014 in der Konferenz „Open Europe“ selbstbewusst zum Besten:
"Kein Wunder also, dass die Eröffnungsrede von Finanzminister Osborne mit ordentlich Applaus erntete: 'Die EU stellt sieben Prozent der Weltbevölkerung, 25 Prozent des Welt-Bruttoinlandsproduktes, aber 50 Prozent der weltweiten Wohlfahrtsausgaben', sagte er und zog ein Fazit: 'So geht es nicht weiter.' Die Union solle wettbewerbsfähiger werden, um mit China und Indien Schritt halten zu können. Sie müsse Sozialausgaben kürzen, die Liberalisierung des Binnenmarktes vorantreiben, vor allem im – für die UK wichtigen – Dienstleistungs-Sektor, und mehr Freihandelsabkommen mit Drittstaaten (Staaten außerhalb der Union) abschließen. 'Die EU muss sich entscheiden: Reform oder Abstieg.'“25
Der EU-Gipfel zur Wirtschaftspolitik Ende Juni 2013 in Dublin belegte den Widerstand der durch unterschiedlichste Interessen motivierten „Partner“ mit der Tatsache, dass von mehr als 200 zwischen EU-Kommission und einzelnen Mitgliedsländern vereinbarten Reformen seit 2011 nur ganze 13 umgesetzt waren. Zugleich zieht sich ein taktisches Gefeilsche um die Frage hin, wie denn „Wettbewerbsfähigkeit“ gemessen werden soll. Auf dem EU-Dezembergipfel 2013 wurden Entscheidungen zur EWWU zum sechsten Mal verschoben.
Die nordische Achsenbildung hat eine andere Stoßrichtung als die Achsenbildung der Südländer. Während sich letztere gegen die deutsche strangulierende Austeritätspolitik richtet, befürchten die Nordländer ins gegenteilige Visier Deutschlands zu geraten. Während die südlichen EU-Defizitstaaten für den Ausbau der deutschen Weltmachtrolle eher zum Klotz am Bein werden, gibt es ernsthafte deutsche „Überlegungen“ die Überschuss-„Nordländer“ zu einer „Nord-Euro-Zone“ zusammenzuschließen (dann liegt Österreich mal eben einfach im Norden). Daher gehen die Freihandels-Staaten schon mal in die strategische Defensive, um den Druck Deutschlands zur Integration Richtung eines nordischen Kerns der VSE im Vorfeld zu begegnen.
Den Sommer über hielten sich alle „Partner“ angesichts der anstehenden deutschen Bundestagswahlen am 22. September 2013 tunlichst zurück. Merkelland war in fester Hand und eine gemeinsame Schuldenhaftung der Eurozone oder zumindest verdeckte Formen von Eurobonds würde von Seiten des zu erwartenden GroKo-Partner SPD schon geschaukelt werden, um Frankreich für Deutschlands „Europa“ zu gewinnen.
Nach der Wahl und vor der Regierungsbildung kam die zusätzliche politische Aufwertung Deutschlands von außerhalb der EU: Iran und Syrien schlugen Deutschland als Vermittler im „Streit“ um das iranische Atomprogramm bzw. in der Syrienkrise vor. Der neue Präsident Ruhani betonte, dass Deutschland der wichtigste EU-Partner des Irans ist.
Auf EU-Ebene legte London in diesem Zeitraum des deutschen machtpolitischen Stillstands nach bezüglich grundsätzlicher Verhandlungsabsichten der englischen EU-Mitgliedschaft, insbesondere des Schengen-Abkommens.
Am 10. Oktober wurde nicht von ungefähr lanciert, dass die deutsch-französische Brigade nun 2014 praktisch von französischer Seite aufgelöst werden soll. Dabei würde es sich um die symbolträchtige Beendigung des wichtigsten deutschen Hoffnungsträgers der 1990er Jahre zur Kernbildung zunächst der WEU als militärischem Arm der EU handeln. Diese Meldung, die der Sache nach Kettenglied der vorhin skizzierten Entwicklung der GASVP ist, wird hier bei der Behandlung der Entwicklung zu den VSE eingefügt, weil die Brigade militärpolitisch faktisch schon längst tot war – wenngleich sie 2014 nun doch in Afrika zum Einsatz kommen soll.
Schon die Meldung der symbolträchtigen Handlung durch Le Figaro scheuchte die deutsche Politik hoch:
„Der CDU-Verteidigungspolitiker Bernd Siebert sprach am Donnerstag von 'besorgniserregenden' Überlegungen in Frankreich. Die Brigade sei 'Ausdruck gelebter Freundschaft' zwischen Deutschland und Frankreich und dürfe 'nicht aufgrund von Sparanstrengungen in Zweifel gezogen werden'. Dies wäre ein 'fatales Signal'.“26
Wenn nicht einmal ein Mitglied des Verteidigungsausschusses des Bundestags, der als Schwarzkehlchen noch im August 2013 laut zur Vereinheitlichung der GASVP gekrächzt hatte (siehe Kapitel 33.1.), über die deutsch-französische „Freundschaft“ im Bilde ist, wer dann. Doch: Noch am Tag der Meldung erfolgte unter der Phrase des Gefühls tiefer Verbundenheit das offizielle Dementi vom Sprecher des französischen Verteidigungsministeriums. An solche Arten und Formen gegenseitiger psychologischer Kriegsführung durch Desinformation zur Schwächung des Gegners werden sich die Lohnarbeiter aller EU-Länder zukünftig gewöhnen müssen.
Die lancierte Androhung der Auflösung der deutsch-französischen Brigade war nicht mehr als eine machtpolitische französische Ohnmachtsgeste gegen Deutschlands Weltmachtgelüste- und VSE-Beschwörung um den „Tag der deutschen Einheit“ 2013 herum unter dem sich unbedarft postmodern gebenden sozialchauvinistischen Motto „Zusammen einzigartig“.
Bundespräsident Gauck machte – wie schon zuvor skizziert – in seiner Rede zum 3. Oktober 2013 vor aller Welt klar, dass Deutschland am Ausbau seiner Weltmachtrolle festhält. Bezüglich Europa vernebelte er das deutsche Dilemma der Unwilligkeit der großen Mehrheit der EU-Staaten zu noch tieferer Integration:
„Diese Stärke (der Demokratie, E.N.) ist es auch, die wir für eine weitere Herausforderung unserer Zeit brauchen: die europäische Integration. Ohne Zweifel ist das Europa in der Krise nicht mehr das Europa vor der Krise. Risse sind sichtbar geworden.
Die Krise hat Ansichten und Institutionen verändert, Kräfte und Mehrheiten verschoben. Die Zustimmung zu mehr Vergemeinschaftung nimmt ab. Nicht die europäischen Institutionen, sondern nationale Regierungen bestimmen wesentlich die Agenda. Zudem tauchen in Ländern, denen die Rezession vieles abverlangt, alte Zerrbilder eines dominanten Deutschlands auf.
All dies will diskutiert und abgewogen werden. Die gute Nachricht lautet: Ein starkes Band aus Mentalität, Kultur und Geschichte hält Europa zusammen. Entscheidend aber ist unser unbedingter Wille zur gemeinsamen Gestaltung der Zukunft. Europa kennt nicht nur eine Gestalt, nicht nur eine politische Organisationsform seiner Gemeinschaft. Wir haben zu streiten und zu diskutieren über die beste Form der Zusammenarbeit, nicht aber über den Zusammenhalt Europas! Und unsere Einigungen haben wir so zu kommunizieren, dass die europäischen Völker die Lösungen akzeptieren und mittragen können. Es bleibt die Aufgabe der Politik – und als Bundespräsident nehme ich mich da nicht aus – das Europa Verbindende zu stärken.
Was ist nun die Aufgabe Deutschlands in Europa und in der Welt? Manche Nachbarländer fürchten eine starke Rolle Deutschlands, andere wünschen sie. Auch wir selbst schwanken: Weniger Verantwortung geht nicht länger, an mehr Verantwortung müssen wir uns erst noch gewöhnen.“27
Die Länge des Zitates rechtfertigt sich nur als Vorführung der Gauck'schen Gauklerkünste, besser eines Eiertanzes pastoraler Wortgaucklerei um den Akzeptanz-Kern des Geschwafels:
„Und unsere Einigungen haben wir so zu kommunizieren, dass die europäischen Völker die Lösungen akzeptieren und mittragen können.“
Den Oberhirten wurmt, dass sich nicht alle Michels einfach zu patriotischen Schafsköpfen umtaufen lassen. Ob sich der Herr selbst als glaubwürdigen, gestaltenden Kommunikator der „Freiheit in der Freiheit“ einschätzt? Nur vier Monate nach der Eröffnung der deutschen außenpolitischen Offensive mit Fokus GASVP am Nationalfeiertag fasste der Scharfmacher auf der Münchner Sicherheitskonferenz 201428 nach in der fast offiziellen Forderung an die Volksgemeinschaft, endlich die energische Übernahme deutscher „Verantwortung in den Krisen der Welt“ auch mit militärischen Mitteln an der Heimatfront zu unterstützen.
Dem Nebelschleier der Worthülsen des obersten deutschen Repräsentanten gab ein alter Hase des politischen Einflüsterer-Geschäfts in einer Kolumne fürs Boulevard des eingebildeten Lohnarbeiter-Mittelstands sofort die klare Kante der Aufgaben der neuen Regierung vor. Erinnernd an den 25. Todestags des großen „Visionärs“ Franz-Josef selig:
„Schon 1975 hatte Strauß erklärt, dass es 'das Ziel der Unionsparteien heute und in der Zukunft sein müsse, die Partei der kompromisslosen Bejahung und Förderung der europäischen Einheit zu sein'. Er wollte 'kein Vaterland der Vaterländer und auch keine lose Konsultativ-Gemeinschaft, sondern einen echten europäischen Bundesstaat'. Er forderte schon damals einen Gemeinsamen Markt, der eine 'Harmonisierung der Steuer- und Sozialsysteme, der Konjunkturpolitik, der europäischen Strukturpolitik, der Verteidigungs- und Außenpolitik' beinhalten müsse.“29
In diesen paar Worten Klartext wird deutlich, dass Deutschlands altehrwürdiger, nach 1945 umgemodelter Neuordnungsplan Europas der tiefen Integration bis hin zu den VSE als europäischem Bundesstaat unbeirrt weiterverfolgt wird und die französische Konzeption einer Konföderation politisch gleichberechtigter Nationalstaaten sowie eine reine Freihandelszone nach angelsächsisch-nordischen Vorstellungen unter deutscher Führung nicht zu haben sind. Der ehemalige Kohl-Berater und Politfuchs hält den Michel wohl für so blöde, Merkel kenne und folge diesem deutschen 'Plan' der VSE nicht und Herr T. müsse ihr diesen erst einmal bei biegen. Tatsächlich kann die deutsche Angela nova nicht anders, als Deutschlands Integrationskurs beharrlich in ruhigen Gewässern zu halten. Die ablaufende Zeit spielt ihr zunächst noch in die Hände: der Druck zunehmender Verschuldung der EU-Staaten macht diese gefügiger für den deutschen Kurs einer einheitlichen Finanz-, Wirtschafts-, Sozialpolitik der Eurozone und möglichst der gesamten EU – ein Vabanque-Spiel erster Klasse. Würde Merkel heuer so auf die Kacke hauen wie der bayrische Hasardeur damals, wüchsen ihr tags drauf europaweit massenhaft Adolf-Schnurrbärtchen zu. Der lebenslang Apparatschik weiß seinerseits, wann und wie dem politischen Personal propagandistisch eingeheizt werden muss.
C.
Das kommende politische Schlachtfeld in der EU um entscheidende Schritte zu den erhofften VSE wird von der Seite der „germanischen Brüder“ der Nordländer spätestens 2013 vorsorglich an den Flanken blockiert. Diese Abwehrfront muss die deutschen Vorstöße an der Doppelfront von EWWU und vor allem die offensichtlich Anfang 2014 gestartete deutsche Offensive in der GASVP als militärpolitischem Befreiungsschlag parieren. Ob dies im Schützengraben der Diplomatie im Nahkampf erfolgt oder mit offiziell offenem Visier der Medienmeute zum Fraße und nationalchauvinistischen Verriss vorgeworfen wird, hängt von der Schwere der Bedrängnis der „Partner“ durch das sich arglos gebende neue Deutschland ab. Die Illusion, dass Frankreich der Fahnenträger für ein „anderes“ Europa sein könne, ist zerstoben. Die Machtfrage ist nicht nach Europa zurückgekehrt – sondern ist bis 1989 auf leisen Sohlen und danach in schnellen Schritten zu Gunsten Deutschlands entschieden worden. Deutschland verstand den Warenexport – als der stärksten kapitalistischen Dauer-Waffe mit Langzeitwirkung – zur ökonomischen Vorherrschaft Europas äußerst geschickt einzusetzen für seinen politischen Integrationskurs in der EG und dann der EU. Es ist der klassische Beleg, dass und wie ökonomische Macht in politische Macht umschlägt und die politische Ökonomie eine untrennbare Einheit bilden – wie gegenwärtig auch im politischen Aufstieg der großen Schwellenländer entsprechend deren ökonomischen Vorrückens am Weltmarkt zu beobachten ist. Falls deren Nationalökonomien in ihre erste große Überproduktionskrise geraten, wird ihr politisches Gewicht temporär ebenso sinken wie es Japan nun schon über 20 Jahre ergeht.
Frankreich ist als Deutschlands wichtigster EU-Gegenspieler ökonomisch niedergerungen, jedes machtpolitische Gleichgewichtsgerede bezüglich der EU ist nur noch Fassade. Der Deutsch-Französische „Motor“ steht günstigstenfalls vor einem Kolbenfresser, im ungünstigsten Fall vor seiner Explosion.
Schon Anfang 2013 wurden die Verschiebungen des deutsch-französischen Kräfteverhältnisses im Zuge der europäischen Staatsschuldenkrise desaströs eingeschätzt vom Informationsdienst zur Außenpolitik Deutschlands, German-Foreign-Policy als jener Quelle, aus der hier im Text häufig geschöpft wurde, weil sie klarer ist, als das meiste, was unter der Götter Sonne so zur deutschen Außenpolitik publiziert wird:
„Newsletter vom 16.01.13 – Nicht mehr auf Augenhöhe – BERLIN/PARIS
(Eigener Bericht) - Kurz vor den Feierlichkeiten zum fünfzigsten Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages bilanzieren Berliner Außenpolitik-Experten den Stand der deutsch-französischen Beziehungen. Das Verhältnis zwischen Berlin und Paris sei aktuell durch erhebliche Spannungen geprägt, heißt es in mehreren Analysen. Dies liege vor allem daran, dass Deutschland in der Eurokrise nicht nur wirtschaftlich profitiert, sondern auch seine politischen Positionen weitestgehend durchgesetzt habe - auf Kosten Frankreichs. Staatspräsident François Hollande habe Widerstand zu leisten versucht, dabei jedoch bislang noch keine Erfolge erzielen können. Paris werde Spardiktate à la Hartz IV durchsetzen müssen; ob das gelinge, sei allerdings aufgrund der Protestbereitschaft der französischen Gewerkschaften - anders als in Deutschland - unklar. Skeptisch beobachtet wird in Berlin das französisch-britische Militärbündnis - es wird als eindeutig gegen die deutsche Vorherrschaft gerichtet empfunden. Insgesamt raten Experten dazu, die Fiktion zweier gleichstarker EU-Führungsmächte aufzugeben und die aktuellen Verhältnisse, also die deutsche Dominanz, zu akzeptieren.
In der Krise
Kurz vor den Feierlichkeiten zum fünfzigsten Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages ziehen Berliner Außenpolitik-Experten Bilanz über den aktuellen Stand der deutsch-französischen Beziehungen. Diese steckten in der 'Krise', heißt es exemplarisch in der Zeitschrift Internationale Politik: 'Es läuft nicht gut zwischen Deutschland und Frankreich.'[1] Paris sei geschwächt, Berlin verzeichne neue Machtgewinne; die deutsche Dominanz führe zu anhaltenden Spannungen.
Ungleichgewicht
Wie eine Frankreich-Expertin von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Politik (DGAP) in Erinnerung ruft, ist die 'Sorge' über das 'Ungleichgewicht zwischen Berlin und Paris keineswegs neu. Vielmehr bestehe sie 'mehr oder weniger latent seit dem Fall der Berliner Mauer'.[2] 1990 hatte die Übernahme der DDR durch die Bundesrepublik, der sich der französische Staatspräsident François Mitterrand noch im Dezember 1989 entgegengestemmt hatte, das Bonner Machtpotenzial schlagartig steigen lassen. Dass sich dies auf die Stellung der Bundesrepublik in Europa auswirken werde, war absehbar gewesen. In der Tat habe Paris seither klar 'an politischem und militärischem Einfluss in Europa' verloren, was zu 'Irritationen und Frustration' geführt habe: 'Regelmäßig' sei in der französischen Hauptstadt Klage 'über den neuen, selbstbewussten Ton der deutschen Nachbarn' geführt worden. Im Jahr 2000 habe Frankreich vor der deutschen Forderung gestanden, Berlin 'ein größeres Stimmgewicht im Europäischen Rat einzuräumen'; begründet worden sei dies damals mit 'demografischen Gründen'. Die französische Regierung habe das Ansinnen abgelehnt, da es eine auch formale 'Schwächung Frankreichs gegenüber dem Nachbarland' mit sich gebracht hätte. Den Aufstieg Deutschlands verhindern können habe man freilich nicht.
Rekorddefizit
Heute sind sich Beobachter einig, dass vor allem die wirtschaftliche Schwäche Frankreichs Berlin die Vorherrschaft über die EU garantiert. Während Deutschland sogar Profit aus der Krise schlagen konnte, ist Frankreich schwer getroffen. Jüngsten Berechnungen zufolge ist das Land Ende letzten Jahres in die Rezession gerutscht. Die Arbeitslosigkeit ist auf zehn Prozent gestiegen - der höchste Wert seit 15 Jahren. Zwei Rating-Agenturen haben Frankreich letztes Jahr herabgestuft. Gegenüber Deutschland zeigt sich der wachsende Rückstand im steigenden Handelsbilanzdefizit: Während die Bundesrepublik ihre Ausfuhren nach Frankreich auf einen Wert von 101,6 Milliarden Euro steigern konnte (2011), erreichten die französischen Exporte nach Deutschland im selben Jahr nur einen Wert von 66,4 Milliarden Euro. Das Handelsbilanzdefizit, das letztlich im französischen Staatsetat negativ zu Buche schlägt, erreichte damit den Rekordbetrag von 35 Milliarden Euro. Das 'führt dazu, dass sich beide Länder nicht länger auf Augenhöhe begegnen', halten Beobachter fest.[3] Deutschland habe dabei 'nicht nur seine wirtschaftliche Position' gefestigt, sondern im Verlauf der Krise die wirtschaftliche in politische Stärke umsetzen und 'auch seine politische Führungsrolle in der EU' weiter ausbauen können. 'Das erste Element' sei 'zu großen Teilen die Voraussetzung für das zweite' gewesen.[4]
Alte Dämonen
'Dieses doppelte Auseinanderdriften, das in der Presse ausgiebig kommentiert wurde, weckte in einem Teil der intellektuellen und politischen Klasse Frankreichs alte Dämonen und die Furcht vor einem hegemonialen Nachbarn', heißt es weiter.[5] Nach dem Scheitern seines Vorgängers Nicolas Sarkozy [6] habe im Mai 2012 auch Staatspräsident François Hollande den Versuch gestartet, 'die bilaterale Beziehung wieder ins Gleichgewicht zu bringen' - etwa durch Bündnisse mit Italien und Spanien gegen die deutschen Spardiktate. Wirkliche Erfolge konnte allerdings auch er nicht erzielen. Da 'in einer Zeit, in der die Wirtschaft mehr denn je ein Machtfaktor ist', wirtschaftlicher Rückstand kontinuierlich auch 'den politischen Einfluss des Landes" unterhöhle, müsse Frankreich nun unbedingt ökonomisch aufholen, urteilt die DGAP-Expertin Claire Demesmay. Das sei, weil in der Krise die Bundesrepublik sich auf europäischer Ebene mit ihrer Austeritätspolitik durchgesetzt habe, nur mit 'tiefgreifenden und schwierigen Reformen' möglich.
Reformbereitschaft ungewiss
Als Vorbild gelten dabei in Paris spätestens seit Ende 2011 die Berliner Austeritätsmaßnahmen der rot-grünen Regierung Schröder/Fischer (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Während diese in Deutschland relativ problemlos durchzusetzen waren, ergeben sich in Frankreich Probleme: 'Für entscheidend' halte DGAP-Expertin Demesmay, 'wie sich die Gewerkschaften verhalten', heißt es in der deutschen Wirtschaftspresse: Zwar könne die Regierung 'auf die Reformbereitschaft des gemäßigten Gewerkschaftsverbandes CFDT' zählen; 'bei den Konkurrenzorganisationen CGT und Force Ouvrière' sei das jedoch 'ungewiss'. Mit 'Massendemonstrationen' sei durchaus zu rechnen.[8]
Unterschiedliche Machtattribute
Einstweilen sucht Paris seine Einflussposition zumindest in der Militärpolitik zu wahren - durch ein Bündnis mit London. Wie es in der Internationalen Politik heißt, verfügten die Bundesrepublik und Frankreich ohnehin 'seit den Anfängen der europäischen Integration (...) über unterschiedliche Machtattribute': die Bundesrepublik 'über eine starke exportorientierte Wirtschaft, Frankreich über eine ambitionierte Außenpolitik'.[9] Staatspräsident Sarkozy habe 'die Rückkehr Frankreichs in die militärische NATO-Integration' in die Wege geleitet, sie dabei 'mit Washington und London, nicht jedoch mit Berlin verhandelt' und anschließend ein militärpolitisches Bündnis mit Großbritannien geschlossen. Entsprechende Übereinkünfte vom November 2010 gingen deutlich 'über die deutsch-französische Zusammenarbeit hinaus'. Tatsächlich wird das französisch-britische Bündnis in Berlin mit erheblicher Skepsis beobachtet (german-foreign-policy.com berichtete [10]); es ist die Basis für den Libyen-Krieg gewesen und prägt die aktuellen Auseinandersetzungen um den Militäreinsatz in Mali [11].
Kein Gleichgewicht mehr
Mit Blick auf die ökonomischen Schwierigkeiten Frankreichs urteilt DGAP-Expertin Demesmay exemplarisch, eine 'längerfristige Schwächeposition Frankreichs' sei durchaus 'zu erwarten'. Es sei deshalb sinnvoll, 'das Gleichgewichts-Paradigma aufzugeben', also den Anspruch nicht länger zu erheben, Berlin und Paris träten als gleichstarke Führungsmächte der EU auf. Entscheidend sei es jetzt, die 'europäische Integration gemeinsam voranzutreiben'. Dazu müsse man nicht wissen, schreibt die Berliner Expertin mit Blick auf die deutsche Dominanz, 'wer von beiden die Hosen anhat'.[12]“30
Wer die Hosen an hat, weiß ganz Europa und der deutsche Michel lebt damit bis jetzt noch ganz gemütlich und ungeniert31. Anfang 2014 hat Frankreich dem Schein nach – wie am jeweiligen Ende der Kapitel 33.1. und 33.2. skizziert – bezüglich der GASVP und EWWU die Hosen runter gelassen und sich Deutschland gebeugt. Ob der dann übrigbleibende Hosenträger BRD allerdings potent genug ist, sein Begehren, „Europa“ „friedlich“ neu zu ordnen, durchzusetzen vermag, wird von den Abwehrmöglichkeiten der versammelten „Partner“-Front abhängen:
Die übergreifend ökonomische Front: Alle sind dringend auf den EU-Binnenmarkt angewiesen. Hieraus ergibt sich
über Vermittlungsketten die vertragliche Verpflichtung der Umsetzung der Beschlüsse betreffend der EWWU. Wie Deutschlands Durchdrücken der Fiskalunion belegt, reichen kleine
Achsenbildungen nicht, um Deutschlands wirtschafts- und finanzpolitischen EU-Kurs zu verhindern. Ob die „Partner“ ihre internen Interessengegensätze auf diesen ökonomisch-politischen
Feldern unter einen tragfähigen Hut bringen können, der das deutsche Begehren zur „Vollendung“ der EWWU blockieren könnte, ist zu bezweifeln. Immerhin ist es so, dass sich die Vormacht
Deutschland ohne schmähende Gegenrede selbst als gut bestelltes Haus zum Vorbild der bürgerlichen Nationalstaaten ernennen konnte. Deutschland hat sich selbst eine reine Weste in Sachen
EWWU ausgestellt – dass es wie alle anderen auch seine ureigenen nationalen Interessen vertritt, kann ihm niemand übel nehmen. Dass hierbei stets Erpressungsmanöver ablaufen, gehört zum
diplomatischen Handgepäck; es handelt sich ja schließlich nicht um ein Mädchenpensionat – wie mann früher zu sagen pflegte. Der zunehmende Ausbau der ökonomischen Vormacht Deutschland in
der EU und dessen auf das ökonomische Primat aufbauendes politisches Durchsetzungsvermögen in Sachen EWWU sind im bürgerlichen, juristischen Rahmen nicht zu verhindern. Allerdings vermag
die bisherige erfolgreiche hinhaltende Verweigerungsstrategie der „Partner“ bei der Umsetzung der Beschlüsse die zentralistische EU-Handlungsfähigkeit entschieden herabsetzen – keine
schönen Aussichten für den Möchtegern „Gobal Player“ Europa. Der Kampf der großen Player um den Weltmarkt verträgt keine Atempausen: wer zu spät kommt, den bestraft das
"Leben".
Die zweite und entscheidende Front auf dem deutschen Weg zur „politischen Union“ - sprich Europa als VSE nach deutscher Vorgabe – verläuft in der GASP und GSVP. Alle Aspekte der bisher zusammengetragenen Bruchstücke der deutschen Außenpolitik verweisen letztendlich darauf, dass der deutsche Traum von den VSE an dieser Font zerbricht. Der letzte Anker vor der endgültigen „friedlichen“ ökonomischen und darüber politischen Unterwerfung der „Partner“ liegt wie stets im Kampf um die Weltmacht auf dem verteidigungs- und militärpolitischen Feld. Falls Deutschland sich auf den machtstrategischen Feldern der Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs-, und Militärpolitik entsprechend seiner Interpretation des Lissabon-Vertrages hin zu einer europäischen „Identität“ durchsetzen sollte, so blüht den „Europäern“ statt Vereinigten Staaten von Europa (VSE) eine Zwangsgemeinschaft der Vasallen Deutschlands in Europa (ZVDE) – was einem „sanften“oder “kalten Anschluss“ der „Partner“ an Deutschland gleichkäme. „Europa“ ist schon jetzt ohne wenn und aber zum dritten Mal in Folge eine deutsche Frage von Krieg und Frieden geworden.
Das Schäuble'sche „harte“ Kerneuropa I der Euro-Zone einschließlich deren „weichen“ Peripherie ist seit Herbst 2011 mit der Fiskalunion formal auf den Weg gebracht. Damit wurde zugleich der Sprengsatz für die tiefere EU-Integration gelegt:
„Während aber alle Augen weiter auf Griechenland und Italien gerichtet sind, haben die Regierungen der Euro-Länder soeben fast unbemerkt die Weichen für eine neue Europäische Union gestellt. Auch wenn die Mehrzahl der Analysten nicht müde wird, die Beschlüsse des Euro-Gipfels Ende Oktober 2011 klein zu reden: Rückblickend werden sie als historisch bewertet werden. Was der Euro-Gipfel in den frühen Morgenstunden des 27. Oktober 2011 beschlossen hat, wird das Gesicht der Europäischen Union nachhaltig verändern. In Brüssel haben die Euro-Länder nicht weniger als das Fundament für eine Fiskalunion gelegt – und nebenbei einer neuen Form des 'Kerneuropa' den Weg geebnet. Das Verhältnis zwischen den 'ins' und 'outs' wird sich schon bald als die neue Trennlinie in der EU erweisen.“32
Während die Augen nicht nur dieser Autorin auf das zwischenstaatliche Verhältnis der EU-“Partner“ und den Zerfall in ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ fixiert waren, hat Deutschland mit der geschickten Unterstützung der Sezessionisten zentrifugaler Regionen der „Partnerstaaten“ längst zusätzliche Fronten im Rücken der Hauptkonkurrenten geschaffen. Wie sagte der gegenwärtige deutsche Krisenmanager der europäischen Finanzen vor zwanzig Jahren so schön:
“Wir schöpfen unsere Identität nicht aus dem Bekenntnis zu einer Idee, sondern aus der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk.”33
Diese völkische „Identitäts“-“Schöpfung“ muss Deutschland „natürlich“ wegen der „Minderheits- und Menschenrechte“ (und so, ähh) aus Gerechtigkeitsgründen und als ehrlicher Makler Europas und der ganzen Welt stets unterstützen und schützen und wenn es sein muss, auch notfalls mittels militärischer Interventionen durchsetzen „helfen“. Selbst wenn dabei die bisherigen „unnatürlich“ aus einer „bloßen Idee“ nach 1789 entstandenen Nationalstaaten zur „Verteidigung“ der „Menschenrechte“ unter Aushebelung des Völkerrechts zerstört werden! All dieses Hehre macht die deutsche Opferseele schweren Herzens selbstverständlich keinesfalls zum eigenen Nutzen, sondern als uneigennützige Identitätsfindungs-Protektion derjenigen „Völker“, die aus „Vielvölkergefängnissen“ ausbrechen wollen in den „Freiheitsraum“ der europäischen völkischen „Freiheitsgemeinschaft“!
D.
Es ist notwendig, als Abrundung des Abschlusses nochmals ein letztes Augenmerk auf die Bedeutung des aller deutschen Außenpolitik inhärenten völkischen Destabilisierungskurses nicht nur in Europa zu richten. Vorstehend ging es um das übergreifende Kräfteverhältnis der Hauptmächte Europas zum drängelnden Hegemon Deutschland. Die Stellung Deutschlands in der EU wird jedoch keineswegs klar, wenn ausschließlich sein Verhältnis zu den bestehenden Nationalstaaten der EU zur Sprache gebracht wird. Synchron mit der Zunahme der inneren Spannungen zwischen den EU-Hauptkräften droht der Übergang in einen völkisch-nationalen sezessionistischen europäischen Bürgerkrieg. Für den Fall der Verschärfung und Verfestigung der 2006 einsetzenden und bis heute einstweilen nur „gekauften“ großen Weltwirtschaftskrise drohen – wie in Kapitel 27 skizziert – die nationalen Gesamtkapitale Italiens und Spaniens sich auf Grund ihrer inneren ungleichmäßigen Entwicklung zu regionalen Rumpf-Gesamtkapitalen zu separieren und sich durch Sezession politisch als Padania (Norditalien), Catalan und Euskadi (Baskenland) als neue Zwerg-Nationalstaaten neben den alten Rumpfstaaten Italien und Spanien zu konstituieren. Südtiroler Separatisten streben den Anschluss ihres Flicken Landes an Österreich an. Belgien steht ebenfalls im Zerfall in Flandern und Wallonien, Schottland betreibt die Sezession von Großbritannien. Im Alsace stellt eine deutsch-sprachige Minderheit ebenfalls erste (kulturelle) Autonomieforderungen. Die von Deutschland stimulierte schnelle Dynamisierung der Ukraine-Krise Anfang 2014 zeigte wieder einmal exemplarisch, wie schnell die Unzufriedenheit verarmter großer Massen auf die Mühlen von Rechtspopulisten, Ultranationalisten und Rechtsradikale gelenkt werden kann. Der Übergang zum Bürgerkrieg bis hin zur Spaltung der Ukraine ist nicht mehr weit.34 Der bürgerkriegsähnliche Dauerzustand in Nordirland ist der warnende Vorschein der drohenden Balkanisierung der EU-Staaten.
Sich gegenüber der virulenten Gefahr der völkischen Sezessionskriege in europäischen Nachbarländern ahnungslos gebend, plädierte der deutsche Oberhirte auf der Münchner Sicherheitskonferenz Ende Januar 2014 persönlich – als Teil einer seit Anfang 2014 großangelegten PR-Offensive der Berliner Republik, sich in Krisen und bei bevorstehenden militärischen „Missionen“ "früher, entschiedener und substantieller einbringen" zu wollen – mit preußischer Chuzpe für die deutsche Formel „Menschenrecht bricht UN-Völkerrecht“:
"Das Prinzip der staatlichen Souveränität und der Grundsatz der Nichteinmischung dürfen gewalttätige Regime nicht unantastbar machen. Hier setzt das 'Konzept der Schutzverantwortung' an: Es überträgt der internationalen Gemeinschaft den Schutz der Bevölkerung vor Massenverbrechen, wenn der eigene Staat dieser Verantwortung nicht nachkommt. Als äußerstes Mittel ist dann der Einsatz von Militär möglich, und zwar nach sorgfältiger Prüfung und Folgenabwägung sowie Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.“35
Das erinnert fatal an die Kontinuität des „Konzepts“ eines liberalen oder gar ethischen Imperialismus deutscher Färbung von 1915 des Pfaffenbruders Friedrich Naumann, dem Namensgeber der FDP-Stiftung der „Freiheit“36. Dazu passte die am Tag darauf nachgeschobene Nachricht aus dem AA mit dem Fernziel eines Ständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrats mit Veto für Deutschland:
„Die Bundesregierung strebt für das Jahr 2019 erneut einen Sitz im UN-Sicherheitsrat an.“37
Deutschland sieht sich auf seinem bisherigen Zenit als Krisengewinnler der Weltwirtschaftskrise selbst auf „Augenhöhe“ mit den Veto-Mächten des UN-Sicherheitsrats und drängt auf einen entsprechenden Status im bis heute wichtigsten UN- Entscheidungsgremium über Krieg und Frieden. Wie in 32.1. empirisch nachgezeichnet wurde, versucht Deutschland konsequenter Weise eine „Rahmenordnung“ der GASVP der EU nach seinen Vorstellungen durchzusetzen. Und Frankreich schien Anfang 2014 auf Deutschland zuzugehen, um dessen militärische Ressourcen in Afrikas destabilisierten Staaten der Sahelzone abzunutzen. Diese neue offensive militärpolitische deutsche Außenwendung lenkt ab vom drohenden inneren Zerfall der großen Territorialstaaten der EU selbst, der in Gauck's obigem Passus implizit zum Tragen kam.
Die Thematik des von Deutschland praktizierten Prinzips des Teile-und-Herrsche durchzieht den gesamten Text keineswegs als Steckenpferd oder gar Marotte. Es steht nach der bisherigen deutschen Praxis zu erwarten, dass Deutschland getreu seiner völkischen Ideologie der Geburtshelfer und Protektor neuer völkisch-nationalistischer Zwergstaaten sein wird – so wie es auf dem Balkan durch sein Teile-und-Herrsche-Prinzip zum Zuge kam. Die potentiellen neuen deutschen Vasallen – Padania, Catalan, Euskadi, Flandern, Alsace (?) .. – würden das Kerneuropa-Modell I abrunden, bestehend aus Deutschland, Frankreich (?), Österreich, Finnland, Niederlande, Luxemburg. Der Rest der EU-Staaten bildete dann das Europa der „zweiten Geschwindigkeit der Integration“.
Der „Rest-Staatenbund“ Kerneuropa I der „ersten Geschwindigkeit“ samt der dazugewonnenen Vasallen wäre immer noch kein optimaler Währungsraum, allerdings wären ihre „nationalen“ Gesamtkapitale sehr viel gleichmäßiger entwickelt als diejenigen der jetzigen Flächenstaaten Italiens und Spaniens im Verhältnis zu jenem Kerneuropa I.
Die Dominanz des deutschen Auslandskapitals in den potentiellen Sezessionsstaaten ist schon jetzt so groß, dass diese neuen „völkisch-nationalen“ Rumpfkapitale faktisch integraler Bestandteil des deutschen Gesamtkapitals würden. Die neuen ökonomischen Satelliten wären unausweichlich politische Vasallen des Protektors. Dieses faktische Vierte europäische Reich deutscher Nation würde aus der Zerlegung der bürgerlichen Territorialstaaten in völkische Kleinstaaten hervorgehen. Die EU-Peripherie der Restrumpfstaaten sowie die MOE-Staaten wären eher zur Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen verdammt, als je in die Premier League aufzusteigen.
Das ökonomische Gewicht dieses peripher abgeschmolzenen Kerneuropas I wäre dann notgedrungen das Rest-EU-Pfund, mit dem Deutschland auf dem Weltmarktparkett wuchern könnte. Ob dieses Gewicht für die deutschen politischen Weltmachtambitionen groß genug wäre, ist zweifelhaft38. Nicht von ungefähr sieht Deutschland die gesamte EU als seinen politischen „Handlungsraum“ und bedrängte früher Großbritannien und heute Polen und Tschechien wiederholt zum Beitritt in die Euro-Zone. Die leere juristische deutsche Abstraktion der VSE ist quantitativen Charakters: mit der freiwilligen, friedlichen Durchsetzung des optimalen Szenarios von VSE wäre „Europa“ von den Kennzahlen her gesehen rein rechnerisch einer der schwerstgewichtigen ökonomischen Player des Weltmarkts geworden und politisch eine Supermacht – der deutsche Traum ist inzwischen allerdings endgültig ausgeträumt. Denn dieses deutsche Optimum hat zur Voraussetzung, dass sich alle EU-Staaten in der Außen- Sicherheits- und Verteidigungspolitik dem Hegemon politisch faktisch als Vasallen unterwerfen oder sich zumindest ernsthaft in Richtung einer EU-Vereinheitlichung der GASVP bewegen. Schon im Sommer 2012 wurde jedoch klar, dass die BRD sich selbst in der Euro-Zone in EWWU-Angelegenheiten politisch nicht ohne Weiteres durchzusetzen vermag. Und wie in den zwei vorgängigen Kapiteln dargelegt, lösten sich die deutschen „Hoffnungen“ auf dem EU-Dezember-Gipfel 2013 sowohl bezüglich substantieller Fortschritte der GASVP wie der EWWU in heiße Luft auf. Der Kampf Deutschland um die VSE und des damit verknüpften ständig angekündigten Ausbaus seiner Weltmachtrolle unter der Chiffre Europa scheint mit der übergroßen Parlamentsmehrheit der GroKo mit härteren Bandagen geführt zu werden. Von 2014 aus betrachtet läutete der Zeitraum ab 2010 nach den vorstehenden drei Kapiteln die dritte Sturm- und Drangperiode Deutschlands zu seiner erstrebten Weltmachtrolle ein.
Ob die Euro-Währungsunion und oder sogar die EU im Falle des Worst-Case
einer anhaltenden ökonomischen Stagnation in allen Industriestaaten,
einer sich vertiefenden strukturellen Überakkumulationskrise des wirklichen, produktiven Kapitals im Weltmaßstab,
auseinanderdriftenden Volkswirtschaften
und nach Sezession strebenden reichen Regionen
einen offenen Bürgerkrieg der Sezessionen im Inneren und den Niedergang großer Nationalstaaten politisch überhaupt überleben könnte, ist mehr als fraglich.
Bezieht sich das Rätsel der raunenden Sphinx von Oggersheim um die Frage von gelingender EU-Integration oder Krieg in Europa auf solche Entwicklungsszenarien? Der Rätsel-Teil, wer denn die 'alten schlafenden Dämonen' sind, die die Alten, Kohl und Juncker, 2012 wieder einmal beschworen, lässt sich jedenfalls dahingehend beantworten: die nationalen Gesamtkapitale, insbesondere die der ökonomischen Hauptkräfte der EU sind jene nicht abstellbaren naturwüchsigen kapitalistischen Dämonen. Bisher kann ihre zunehmende Konkurrenz – als kapitalistisch-naturgegebene Form des Selbstverwertungsprozesses des Kapitals – noch mit friedlichen politischen zwischenstaatlichen diplomatischen Mitteln unter ständigem Druck des Hegemons gehändelt werden. Hierin verborgen liegt der potentielle Umschlagpunkt vom kalten Frieden in den heißen Krieg, ab dem die „Partner“ das politisch-ökonomische Drängen Deutschlands Richtung VSE als den dritten deutschen Griff an die Gurgel als ZdVDE nur noch militärisch meinen beenden zu können. Ob und bis es dahin kommt, entscheidet sich jedoch eher in Washington und Moskau. Denn dieses Szenario umfasst noch die Spielfiguren des weißen und des schwarzen Ritters. Deutschland bliebe bezüglich seiner Weltmachtambitionen in Abwendung von der EU nur der Bündnis-Weg nach Eurasien offen, Russland wartet mit seinem Atomwaffenschild schon als schwarzer Ritter auf diesen Augenblick und Westeuropa wird wiederum vom weißen Ritter USA gerettet.
Das Optimum einer Fortentwicklung zu VSE als einem EU-umfassenden europäischen Bundesstaat unter deutscher Führung ist also nach allem Ermessen wohl verspielt. Seine Durchsetzung von oben nach deutschem Fasson war von Anfang an ein fortlaufendes Täuschungsmanöver der Bürger sämtlicher EU-Staaten, das deren Eliten mitspielen – Kollaborateure gibt es zuhauf, da es um eine Menge Knete geht und in der EU-Bürokratie Karriere zu machen ist. Eine öffentliche „Finalitätsdebatte“39 um den Endcharakter der europäischen Integration – als vollendeter Bundesstaat mit eigener supranationaler Regierung und Verfassung oder als pragmatischer europäischer Staatenbund – würde das deutsche Vorhaben sofort in die Luft sprengen. Jedes suboptimales bis hin zum fürchterlichsten Szenario der weiteren EU-Integration eines Kerneuropas I40 liegt im Bereich des geschichtlich Möglichen.
Wohlgemerkt standen zum Abschluss potentielle, argumentativ belegte abgrenzbare Szenarien – nicht mehr, also keine Prognosen. Bis Anfang 2014 kann Deutschland keineswegs Hässlichkeit im Sinne seiner historischen Kontinuität vorgeworfen werden. Es kämpft als ökonomischer Musterschüler kapitalistisch naturwüchsig gegen die anderen EU-Hauptkräfte für seinen tiefen Integrationskurs Richtung VSE. Da ist nichts Ehrenrühriges im bürgerlichen Sinne dran, im Gegenteil hat Deutschland Anfang 2014 viele internationale Bewunderer, Neider, allerdings schlagen ihm auch viele Befürchtungen des Eskapismus aus Selbstüberschätzung entgegen. Der gesamte Text zielt auf die Denunziation der dabei zum Tragen kommenden hohen Kunst absoluter Heuchelei der deutschen Propagandamaschine, um der laufenden deutschen Legendenbildung vom „Guten Hegemon“ mit dem vorgeblich „hehren“ Ziel Europa die historischen machtpolitischen Zusammenhänge und deren Kontinuitätslinien aus proletarischer Sichtweise kritisch entgegen zu setzen.
Trotz der gegenwärtigen Friedhofsruhe der deutschen Volksgemeinschaft schließt der Text mit einer heute gern als Floskel abgetanen Wahrheit: die Proletarier der EU-Länder bleiben das letzte geschichtliche Pfand, als klassenbewusster politischer Akteur im nationalen Rahmen und vereint über die nationalen Grenzen hinaus das imperiale Treiben der herrschenden Klassen zu durchkreuzen, indem sie die Geschichte aktiv selbst in die Hand zu nehmen versuchen. Dazu müssten die Proletarier – nicht nur, aber insbesondere – in Deutschland durch die Umstände erst einmal gezwungen werden, die (deutsche) Volksgemeinschaft durch die proletarische politische Selbstermächtigung faktisch zu sprengen. Dies ist zwar historisch logisch, notwendig und möglich, allerdings verbietet sich angesichts des desaströsen Zustands der Arbeiterbewegung in den EU-Staaten jeder phraseologische Selbstbetrug. Darauf wird in Teil III der Arbeit zurück gekommen.
1 Leo Trotzki, Über die Aktualität der Parole „Vereinigte Staaten von Europa“; (30. Juni 1923) Marxist.org
2Siehe Kapitel 14.3. zum Internationalen Stahl Kartell (ISK) von 1926 als Vorläufer der EGKS: John Gillingham, Zur Vorgeschichte der Montan-Union Westeuropas – Kohle und Stahl in Depression und Krieg, Vierteljahresheft, Institut für Zeitgeschichte, Jahrgang 34 (1986) Heft 3, http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1986_3.pdf;
Sowie zur Kollaboration der französischen Schwerindustrie mit dem NS 1940:
Annie Lacroix-Riz, Industriels et banquiers francais sous l´Occupation: la collaboration économique avec le Reich und Vichy, Paris 1999;
Zum Drängen der USA seit den 1920er Jahren zu einem vereinten Europa, siehe: Dieselbe, Frankreich und die europäische Integration. Das Gewicht der Beziehungen mit den Vereinigten Staaten und Deutschland, 1920–1955, in: Thomas Sandkühler (Hg.), Europäische Integration. Deutsche Hegemonialpolitik gegenüber Westeuropa 1920 – 1960. Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Band 18 (2002).
3 Daitz, Werner: Europa-Charta; http://www.uni-tuebingen.de/gerd.simon/DaitzEuroCharta.pdf
4 Hans Kundnani, Was für ein Hegemon? – Berlins Politik führt zu keinem deutschen, sondern einem chaotischen Europa; Internationale Politik 3, Mai/Juni 2012, S. 21-25
5 Juncker erntet für Deutschland-Kritik Schelte der CSU; REUTERS Deutschland Online 30.07.12
6 So am 24.06. 2012 vor dem EU-Gipfel beispielsweise ein gewiefter Altzocker: Gerhard Schröder, „Europa braucht eine mutige Reform“; Handelsblatt Online
7 Schäuble im Gespräch mit Welt am Sonntag: "Schlüssel ist Vergemeinschaftung" – Schäuble für EU-Finanzminister; Nachricht ntv 21.08.11
8 Der Kampf unter W. Hallstein um eine eigenmächtige EG-Kommission ist Gegenstand von Teil II; F.J. Strauß' klare Worte in den 70er Jahren werden später zitiert.
9 Über den es zu berichten gibt: „Ein gutes Jahr tagte der EU-Konvent, um schließlich im Jahr 2003 den Entwurf für eine EU-Verfassung zu präsentieren. Der – beileibe nicht als EU-Kritiker bekannte – luxemburgische Premierminister Jean Claude Junker meinte zur Arbeit des Konvents, er habe noch nie eine „dunklere Dunkelkammer“ als den Konvent erlebt. Erst jetzt wird bekannt, dass selbst der handverlesene Männerbund namens EU-Konvent für die Drahtzieher dieser Militärverfassung ein zu transparentes Gremium war. Das gesamte Kapitel III (mehr als zwei Drittel des Gesamttextes), in dem sich die konkreten Umsetzungsverpflichtungen finden, wurden am Konvent vorbeiverhandelt.“ Aus: EU-Verfassung – Europa der Konzerne und Generäle? Eine Broschüre der Friedenswerkstatt Linz, 2. überarbeitete Auflage, 2005
10 c. leveler (2006): Beitrag zur Diskussion über die tendenzielle Entwicklung der nationalen Gesamtkapitale
11 Kosma Poli & Lee Tan (2007): Über die ungleichmäßigen Entwicklungstendenzen der nationalen Gesamtkapitale in Europa und die Niedergangsphase der Nationalstaaten
12 BDI-Manifest für Wachstum und Beschäftigung – Deutschland 2020 - Eine Publikation des BDI und seiner Mitgliedsverbände sowie von BDI initiativ – Innovationsstrategien und Wissensmanagement (2008)
13 Erwin Grandinger, Der Gaga-Staatskapitalismus ist das Problem; DIE WELT Online 04.01.13
14 Siehe: Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, Irland, der hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der französischen Republik, der italienischen Republik, der Republik Zypern, dem Großherzogtum Luxemburg, Malta, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der portugiesischen Republik, der Republik Slowenien, der slowakischen Republik und der Republik Finnland; Website Bundesfinanzministerium; am Schluss werden die Anteile und die Kapitalzeichnung der beteiligten Länder dezidiert gelistet.
15 Stefan Homburg, Retten ohne Ende; FAZ-NET 28.07.2012
16 Was den tapferen Schwaben nicht daran hinderte, als Neujahresbotschaft 2013 mit einer rosaroten Bilanz 2012 ins selbe Horn der VSE mit dem schrillen Unterton des drohenden Bedeutungsverlustes „Europas“ zu blasen: Wolfgang Schäuble, Zukunft der EU – Die Welt des 21. Jahrhunderts wartet nicht auf Europa; DIE WELT Online12.01.13.
17 Aus: Carolin Lohrens, Außenspiegel "Europas fünfter Selbstmord"; Spiegel-online 25.11.11
18 Newsletter vom 05.01.2012 – Wie Preußen im Reichhttp://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58233
[1] Tony Corn: Neue deutsche Illusionen; Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.01.2012
[2] Hans Kundnani: Germany as a Geo-economic power; the Washington Quarterly, Summer 2011
[3] Tony Corn: Toward a Gentler, Kinder German Reich? Small Wars Journal 29.11.2011
[4], [5] Tony Corn: Neue deutsche Illusionen; Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.01.2012
[6] Tony Corn: Toward a Gentler, Kinder German Reich? Small Wars Journal 29.11.2011
[7] s. dazu Jetzt wird Deutsch gesprochen
[8] Tony Corn: Neue deutsche Illusionen; Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.01.2012
19 Michael Inacker, BDI-Präsident Keitel stützt Merkels Euro-Kurs; Handelsblatt Online 22.06.12
21 Niederlande fordern Chance für Euroausstieg; Handelsblatt Online 30.11.12
22 Vom Weltwirtschafts-Forum Davos 2013: Albrecht Meier; Matthias Thibaut, David Cameron und die EU – Der Wackelkandidat; Der Tagesspiegel Online 23.01.2013
23 Newsletter vom 28.01.2013 - Der deutsche Glaube ans Sparen, Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58520
24 Fredrik Reinfeldt, Schwedens Premierminister stellt sich gegen Merkel; Handelsblatt Online 27.01.2013
25 Steffen Danie Meyer, EU-Reformkonferenz - Ein Europa nach dem Geschmack der Briten; Handelsblatt Online 16.01.2014
„Wie sieht die Zukunft Europas aus? Die Konferenz „Open Europe“ in London wollte eigentlich ein offenes Forum für europäische Reformen bieten. Doch stattdessen gab es nur eine politische Schlagrichtung.
26 Gemeinsame Brigade - Frankreich will Soldaten aus Deutschland abziehen; http://www.handelsblatt.com/politik/international/gemeinsame-brigade-frankreich-will-soldaten-aus-deutschland-abziehen-seite-all/8913660-all.html Handelsblatt Online 10.10.2013, 13:24 Uhr, aktualisiert 10.10.2013, 19:42 Uhr. Um 19.42 Uhr wurde die Meldung aktualisiert, obige web-adresse wurde umgeleitet auf: Gemeinsame Brigade – Frankreich dementiert Soldaten-Abzug aus Deutschland; http://www.handelsblatt.com/politik/international/gemeinsame-brigade-frankreich-dementiert-soldaten-abzug-aus-deutschland/8913660.html
27 Gaucks Rede im Wortlaut "Die Freiheit in der Freiheit gestalten" Festveranstaltung des Walter Eucken Instituts, 16.01.2014
28 Rede Bundespräsident Joachim Gauck zur: Eröffnung der 50. Münchner Sicherheitskonferenz 31.01.2014
29 Horst Teltschik, Europa und die neue Regierung: Kohl-Vertrauter: Merkel braucht endlich einen Plan Was Angela Merkel von Franz Josef Strauß lernen muss; FOCUS-online 07.10.2013
30 Newsletter vom 16.01.2013 – Nicht mehr auf Augenhöhe http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58509
[1] Claire Demesmay, Ronja Kempin: Goldene Hochzeit in Katerstimmung, Internationale Politik 1/2013
[2] Claire Demesmay: Zusammen ist man weniger allein, www.theeuropean.de 23.12.2012
[3] Claire Demesmay, Ronja Kempin: Goldene Hochzeit in Katerstimmung, Internationale Politik 1/2013
[4], [5] Claire Demesmay: Zusammen ist man weniger allein, www.theeuropean.de 23.12.2012
[6] s. dazu Die Frage der Führung, Die Macht in Europa und Kein Tandem
[7] s. dazu Sarkozy, der Deutsche
[8] Frankreichs Bürger verweigern jede Reform; www.wiwo.de 08.01.2013
[9] Claire Demesmay, Ronja Kempin: Goldene Hochzeit in Katerstimmung, Internationale Politik 1/2013
[10] s. dazu Die neue Entente Cordiale
[11] s. dazu Wüstenkrieg
[12] Claire Demesmay: Zusammen ist man weniger allein, www.theeuropean.de 23.12.2012
31 Obige Einschätzungen verstetigten sich 2013, siehe: Newsletter vom 05.11.2013 - Die Dominanz über Europa. Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58726; Newsletter vom 13.11.2013 - Die Abkopplung Frankreichs. Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58733
32 Almut Möller, Europa 2020 und Reformen – Kommt jetzt Kerneuropa? Aus: DGAP-Standpunkt November 2011, am 14.11.2011 gepostet auf EurAktiv.de. A.M. ist Leiterin des Alfred von Oppenheim-Zentrums für Europäische Zukunftsfragen im Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) e.V. in Berlin
33 Zitiert nach: Matthias Küntzel, Moltkes Rückkehr; Über die Rolle von Generalinspekteur Klaus Naumann bei der Neuformierung der Bundeswehr, konkret 8/93.
34 Wie Deutschland die laufende Destabilisierung der Ukraine Anfang zu Anfang 2014 durch einen türkischen Zangengriff zu forcieren suchte und dabei gleichzeitig in der separatistischen Zerlegung des Iraks und Syriens sowie im Iran-Atom-Deal weiter zu kommen suchte:
„Newsletter vom 05.02.2014 - Geostrategisch sehr exponiert
BERLIN/ANKARA (Eigener Bericht) - Bei mehreren Treffen mit dem Ministerpräsidenten und dem Außenminister der Türkei hat sich die Bundesregierung um neue Absprachen zu ihrer Syrien- und Ukraine-Politik bemüht. Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier kamen am gestrigen Dienstag mit Ministerpräsident Erdogan zusammen; Steinmeier hatte bereits am Montag seinen Amtskollegen Davutoglu im Auswärtigen Amt empfangen. Im Gespräch ist in Berlin unter anderem, Ankara zu 'Finanzhilfen' für die Ukraine heranzuziehen, um Moskaus Einfluss auf Kiew auszustechen. Im Hinblick auf den Syrien-Krieg führt die Türkei Gespräche mit Iran, die offenbar die Verhandlungen der '5+1-Staaten - darunter Deutschland - mit Teheran ergänzen sollen. Zudem intensiviert Ankara seine Kooperation mit der Autonomieregierung des kurdischsprachigen Nordirak; sollte Syrien endgültig zerfallen, könnte dies eine territoriale Neugliederung der Region, insbesondere der kurdischsprachigen Territorien, vorantreiben. Berlin hat, um seine Einflussnahme auf die türkische Außenpolitik zu sichern, letztes Jahr einen 'Strategischen Dialog' mit Ankara gestartet, der sich nun in der Ukraine und in Syrien bewähren soll. Mehr: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58791
35 Rede Bundespräsident Joachim Gauck zur: Eröffnung der 50. Münchner Sicherheitskonferenz; 31.01.2014
36Friedrich Naumann, Mitteleuropa, Berlin 1915; der dort propagierte deutsche ethische Imperialismus stützte die Kriegszielpolitik des Septemberprogramms 1914 von Bethmann-Hollweg, wonach die Abspaltung aller „Völker“ des „Ostraums“ vom Zarenreich aktiv betrieben werden sollten.
37 Bewerbung für 2019 - Deutschland will zurück in UN-Sicherheitsrat; Handelsblatt Online 03.02.2014
Die in Kapitel 31 skizzierte Blockade dies bezüglicher deutscher Forderungen durch eine breite Abwehrfront von Staaten 2004/05 wird inzwischen offensichtlich so mystifiziert:
„Die gemeinsame Initiative mit Indien, Brasilien und Japan (G4) zu einer Reform ist aber in den vergangenen Jahren vor allem wegen des Widerstands der fünf Veto-Mächte im Sicherheitsrat erfolglos geblieben. Erklärtes deutsches Fernziel ist ein EU-Sitz im Sicherheitsrat.“
38 Josef Fischer war schon 2004 von seiner Kerneuropa-Propaganda aus dem Jahre 2000 abgerückt: "'Damit kann unser Kontinent die strategische Dimension nicht ausfüllen', sagte der Grünen- Politiker.“ Kurswechsel: Fischer beerdigt seine Kerneuropa-Idee; SPIEGEL-ONLINE Archiv 28.02.2004
39 Dieter Grimm, Europas Zukunft – Prinzipien statt Pragmatismus; FAZ-NET 06.02.2013