20. Vom Anschluss der DDR

Das hässliche Deutschland kehrte spätestens 1989 auf das diplomatische Parkett der politischen Weltbühne zurück.

Keine 20 Tage nach dem mit völkischem Pathos gefeierten Fall der Berliner Mauer und der DDR-Grenzanlagen stellte Helmut Kohl in einer Rede vor dem Bundestag am 28. November 1989 mit dem Zehn-Punkte-Programm für Deutschland die deutschen Forderungen zu Neuregelungen für eine Vereinigung Deutschlands und Europas ohne jede Konsultation mit den westlichen Siegermächten des 2. Weltkrieges schon mal klar1. Um das neue Russland mit ins diplomatische Boot zu nehmen schlug der nur scheinbare Zauderer Kohl in Abwendung vom Westen und deren internationalen Organen die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) zum wichtigsten diplomatischen Vermittlungsinstrument vor.

 

Vorbei an den 4-plus-2-Verhandlungen gemäß des Potsdamer Abkommens der Weltkrieg II Siegermächte von 1945, hatte die deutsch-russische Geheimdiplomatie2 das neu-russische Einverständnis über die Einverleibung der DDR durch die BRD samt Ausdehnung der NATO bis zur Oder-Neiße-Grenze schon vorab festgemacht und durch Gorbatschow am 19. Januar 1990 offiziell verlautbaren lassen.

 

Die europäischen Siegermächte des zweiten Weltkriegs, voran England und Frankreich3, waren düpiert über die Wiederkehr der preußischen Chuzpe, auf dem kalten Weg den Status quo des westeuropäischen Gleichgewichts de facto vollständig zu Gunsten der BRD zu verschieben. Bis Dezember 1989 zeigte Frankreich seine Grenzen der „deutsch-französischen Freundschaft“, indem Mitterand durch vergebliche Interventionen in Moskau und Ostberlin4 seine Vorstellungen von zwei deutschen Staaten und dem Eurocorps zur militärpolitischen Sicherung des DDR-Territoriums nach Abzug der Roten Armee durchzusetzen versuchte.

 

Deutschland ging gemäß seiner ererbten obrigkeitsstaatlichen Politik zur faktischen Annexion der DDR über. Der staatlich-aufoktroyierte Weg von oben zur sogenannten Wiedervereinigung war mit der „illegitimen“ Gründung der DDR als „Unrechtsstaat“ schon als „legitimer“ Anspruch seitens der BRD eingebaut.

 

Eine freiwillige friedliche Vereinigung zweier Staaten würde im bürgerlichen Sinne die Befragung und Zustimmung der Staatsbürger beider Staaten voraussetzen. Zudem würden die ökonomischen und politischen Bedingungen samt dann anstehender neuer Verfassung von zwei Seiten auf Augenhöhe ausgearbeitet. Dagegen wurde die Bevölkerung des Pleite-Staats DDR blitzkriegartig mit Bananen im Pistolenhalfter mit jenen westdeutschen Waren der individuellen Konsumtion überrollt, denen die DDR-Mangel-Insassen zuvor per Dauerberieselung durch die West-Flimmerkiste libidinös verfallen waren. Dies zusammen mit dem Zuckerbrot von 100 DM'schen reichte hin, den ostdeutschen Teil des Volkes als freiwillige neue industrielle Reservearmee als Peitsche fürs West-BRD-Proletariat samt der DDR zu kassieren.

 

Die schon 1990 zum Kurs von 1 West-Mark zu 1 Ost-Mark erzwungene Wirtschafts- und Währungsunion von DDR und BRD nahm das modifiziert im Zeitraffer vorweg, was im EURO-Raum seit einem Jahrzehnt abläuft5: Die nationalen Gesamtkapitale der weniger entwickelten Länder werden bei dieser 'Schocktherapie' durch jene der weiter entwickelten Länder an die Wand gedrängt. Die Umstellung der Alt-Kredite zum Kursverhältnis von 1 West- zu 2 Ostmark zwangen die devisenlosen Betriebe der DDR in die Knie. Es handelte sich bei diesem Unterfangen um eine längst entwickelte Strategie von Anschließen, Angleichen und Abwickeln6.

 

Bezüglich der damals gleichzeitig ablaufenden 'Befreiung' 'Mitteleuropas' sprachen – wie wir noch sehen werden – deutsche Propagandisten davon, dass solche „natürlichen Ansprüche“ gegebenenfalls auch noch in anderen BRD-Anrainer-Staaten gestellt werden, wenn dort lebende Nachkommen irgendwelcher irgendwann in grauen Vorzeiten deutsch sprechender Vorfahren nach einem Anschluss ans 'deutsche Volk' schreien.

 

Die neue geopolitisch zentrale kontinentaleuropäische Lage des neuen Deutschlands erforderte 'natürlich' zugleich aus deutscher Sicht die bald mögliche Integration der mitteleuropäischen Pleitestaaten als deutschem Hinterhof verlängerter Werkbänke in die kommende EU. Getreu der Traditionslinie von einem nach deutschem Gusto modulierbaren 'Kerneuropa' handelte es sich dabei um die 'natürliche' Abrundung der als EG konstituierten westlichen europäischen Großraumwirtschaft samt Arbeitsteilung durch den 'vom Kommunismus befreiten' mittel-süd-östlichen Teil Europas.

 

Kohls Coup des DDR-Anschlusses machte den Weg frei für die vorne schon häufiger zitierte Regierungs-Ankündigung von September 1991 – kurz vor der einseitigen Anerkennung Kroatiens und dem Maastricht-Vertrag –, dass Deutschland nun seine Weltmachtrolle ausbauen werde. Auf die Verlaufsform der DDR-Annexion und des deutschen Coup7 der EU-'Integration' der Staaten Mittel-Süd-Ost-Europas wird in Teil II der Arbeit genauer zurückgekommen.

 

1 Wegen innenpolitischer Widerstände gegen die Westintegration hatte Adenauer 1951 die westlichen Siegermächte vor Abschluss der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und dem Generalvertrag vergeblich zu einer „Bindungsklausel“ gedrängt, gegebenenfalls das „wiedervereinte“ Deutschland in die Westverträge einzubinden. 

Siehe: Ludolf Herbst, Stil und Handlungsspielräume westdeutscher Integrationspolitik, in: Herbst, Ludolf, Bührer, Werner, Sowade, Hanno (1990): Vom Marschall Plan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt, R. Oldenbourg Verlag München; Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte, Band 30.

Die politischen und ökonomischen Verlaufsformen der "Wiedervereinigung" der BRD und DDR sowie der Anschluss als treibendes Moment des Umschlagens der ökonomischen deutschen Vormacht in der EG zum politischen Hegemon der EU sind Gegenstand von Teil II: Der Weg der BRD zur Vormacht Europas nach 1945.

 

2 Seit ungefähr 1750 gibt es die Kontinuität der besonderen geheim-diplomatischen Beziehungen zwischen Preußen/Deutschland und Russland bis in die Gegenwart. Und zwar über alle Formen von Staatsapparaten und Regierungscrews hinweg. Siehe hierzu: Karl Marx, Die Geschichte der Geheimdiplomatie des 18. Jahrhunderts, erstmals in deutsch 1977 bei Olle & Wolter

 

3 Zeitnah umrissen ist die hiermit verbundene endgültige Niederlage Frankreichs im Kampf um die politische Führung in der EU in: Wolfgang Michal, Deutschland und der nächste Krieg, Berlin 1995. Die Abhandlung über die Genese der EU als des dritten deutschen Anlaufversuchs zur Neuordnung Europas ist Gegenstand von Teil II dieser Arbeit.

 

4 Vgl.: François Mitterand, Tischrede des französischen Präsidenten am 20.12.1989 in Berlin (DDR)/Diskussion an der Karl-Marx-Universität Leipzig (DDR) am 21.12.1989

In: Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland: Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Vom Kalten Krieg zum Frieden in Europa. Dokumente von 1949 - 1989 Bonn: 1990
Der Informationsdienst German Foreign Policy hat (neben anderen archivierten Dokumenten zu Überlegungen zur deutschen Neuordnung Europas von 1945 bis 1989 und 1989 bis 2002) obiges Dokument wie folgt eingeordnet: „Spätestens im Dezember 1989 verlieren die Siegermächte des 2.Weltkriegs die von ihnen angestrebte Kontrolle über Nachkriegsdeutschland. Mitterands Warnungen vor einer Verschiebung der Grenzen kommen zu spät. Die Interventionen des französischen Präsidenten in der DDR offenbaren das völlige Scheitern der alliierten Europa-Politik.“
http://www.german-foreign-policy.com/de/hist-archiv/dne/

Nachzulesen ist der Widerstand Frankreichs und Großbritanniens gegen die „Wiedervereinigung“ auch in: Helmut Kohl, Erinnerungen 1982-1990, Droemer Knaur Verlag 2005

 

5 Die Bundesbank konnte sich bei der Währungsunion mit der angeschlossenen DDR auf die Erfahrungen der Reichsbank mit dem Anschluss Österreichs und des Sudetenlands ans tausendjährige Reich stützen, wo nach 1938 bzw. 1939 die Einführung der Reichsmark durch einen zu hohen Wechselkurs auch zu verheerenden Anpassungsleistungen führte. Bezüglich der Euro-Währungsunion konnte die Bundesbank auf die zahlreichen Erfahrungen der Reichsbank von 1928 bis 1945 mit der Clearing-Stelle für internationalen Zahlungsverkehr zurückgreifen. Insbesondere nach dem Sieg über Frankreich 1940 wurden in deren Kontext Konzeptionen für eine Währungsunion entworfen, deren Vorstellungen Kontinuitätslinien mit der Euro-Währungsunion aufweisen.

Siehe: Mark Buggeln, Währungspläne für den europäischen Großraum. Die Diskussion der nationalsozialistischen Wirtschaftsexperten über ein zukünftiges europäisches Zahlungssystem, in: Sandkühler, Thomas, Hg. (2002): Europäische Integration. Deutsche Hegemonialpolitik gegenüber Westeuropa 1920 – 1960, Wallstein Verlag Göttingen; Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Band 18.

Die Kontinuität der deutschen Bestrebungen zu einer Währungsunion der EWG gewann 1968 inoffizielle Konturen: Hans von der Groeben, Probleme europäischer Währungspolitik. Für die schrittweise Einrichtung eines europäischen Währungssystems. in: «Geldtheorie und Geldpolitik - Günter Schmölders zum 65.Geburtstag», Berlin 1968. Der Herr legte 'seine private' Meinung als Mitglied der Kommission der Europäischen Gemeinschaften ein halbes Jahr vor dem weichenstellenden ersten EG-Gipfel von Den Haag vom Juli 1969 dar. Dort wurde die Erarbeitung eines Konzepts für eine EG-Währungsunion als Auftrag an die Werner-Kommission gegeben. Diese erörterte die Fragestellung auf den zwei Polen: Grundsteintheorie oder Krönungstheorie, wobei die Währungsunion im ersten Fall schocktherapeutisch sofort durchgezogen wird (z.B. DDR-Annexion), im anderen als 'Krönungsschritt' einer längeren Anpassung der Volkswirtschaften vollzogen wird wie angeblich auch beim Euro.

 

6 Zu den DDR-Anschluss-Konzepten in den Schubladen des BRD-Staatsapparats: Karl-Heinz Roth, Anschließen, angleichen, abwickeln. Die westdeutschen Planungen zur Übernahme der DDR 1952 - 1990, Konkret Literatur Verlag 2000

 

7 Das schon mehrfach zitierte Schäuble/Lamers-Papier von 1992 setzte Frankreich und den EU-“Partnern“ bezüglich der EU-Integration dieser Länder geradezu die Pistole auf die Brust: andernfalls können wir traditionell auch ganz anders!

Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

Wertkritischer Exorzismus
Hässlicher Deutscher
Finanzmarktkrise