18. Die deutsche Linke nach 1989: Träger der deutschen Ideologie

Die kritische Skizzierung der deutschen Ideologie der potentiellen Opfer-Täter-Verschiebungsmuster des dritten Deutschen Anlaufs zu einer Weltmachtrolle entpuppt sich als Kritik des linken Mainstreams der Berliner Republik nach 1990. Die Linke hat sich unter der Hand zum links-bürgerlichen Träger der deutschen Ideologie entwickelt.

Sie schreitet außenpolitisch ohne eigene Reflexion im Gleichschritt mit den GRÜNEN an der Spitze – wie sehr sie sich bezüglich der Innenpolitik auch unterscheiden mögen – zur Konfrontation Deutschlands mit den USA.

Dass der intellektuelle, bürgerliche bis rechtspolitische Mainstream noch erschreckender ist, versteht sich der Sache nach, kommt später zur Sprache, weil die vorliegende Kritik der Linken gerade auf die Überwindung der von dieser betriebenen Volksfrontpolitik als Bedingung der stabilen Volksgemeinschaft zielt. Das vernichtende Urteil des Anglisten Dietrich Schwanitz lautete 1997: Die deutsche Linke ist auf lebensphilosophisches, vormaterialistisches Niveau herabgesunken. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, da die Geschichte über ihre Endmoränen hinwegzugehen pflegt.

 

Nun sind da aber die deutschen Zustände, die geradezu nach einer klassenorientierten Linken gerade auch auf parlamentarischer Bühne schreien. Nie war es kommunikationsstrategisch günstiger als zum jetzigen Zeitpunkt, die Waffe der Kritik in der öffentlichen Debatte wirksam einzusetzen. Wenn die Kritik denn so zur Wirklichkeit drängen würde, wie die Wirklichkeit zum Gedanken. Doch die lohnabhängige Klasse1 als potentielles Subjekt der Geschichte ist der großen Mehrheit der Linken schon lange – da ihrem utopischen Subjektivismus gemäß Glaubenssache – abhanden gekommen. Sie kramt die Volksfront aller deutschen Gutmenschen stets aufs Neue zu jedem erdenklichen Anlass als vermodertes Material aus ihrer historischen Gruft und leistet dadurch der deutschen Volksgemeinschaft Vorschub.

 

Gegenwärtig orientieren die links von der Mehrheitslinken sich wähnenden Grüppchen und Individuen sogar geschichtsvergessen auf eine antikapitalistische Sammlungsbewegung. Der Antikapitalismus war das Bündnis des selbsternannten konservativen „Geistigen-“ und Blutadels mit den darbenden Proletariern im 19. Jh. gegen das sich bahnbrechende industrielle Kapital. Tatsächlich deuten viele antimodernistische kulturalistische Ressentiments der Bewegung auf die postmodernen Inhalte des (kleinbürgerlichen) kontinental-europäischen „Geistesadels“, dessen Schreiberlinge meinen, ein Bündnis mit dem Prekariat ließe sich herbei dichten.

 

Denjenigen „Antikapitalisten“, die meinen, sich dabei auf Karl Marx beziehen zu können, muss gesagt werden, dass sie auf dem Holzweg sind. Herr Marx feierte – worauf im Text sporadisch hingewiesen wurde – das Kapital und die Bourgeoisie als dessen personellen Träger sowie deren Profitmacherei um des Profits wegen geradezu euphorisch, weil es beim Umpflügen der alten Gesellschaften zwei Voraussetzungen seiner eigenen Überwindung erzeugt. Erstens produziert die Bourgeoisie mit der Selbstverwertung des Kapitals auf steigender Stufenleiter das Proletariat als seinen eigenen historischen Totengräber. Denn Kapital = Lohnarbeit = kapitalistisches Privateigentum. Das Proletariat zwingt seinerseits in seinem Kampf um bessere Lebensbedingungen das Kapital, die lebendige Arbeit durch tote in Maschinerie verwandelte Arbeit zu ersetzen. So spannt zweitens das von den Proleten getriebene Kapital die gesamten gesellschaftlichen Produktivkräfte an und reduziert die notwendige Gesamtarbeitszeit der Gesellschaft radikal und schafft so die materiellen und personellen Bedingungen seiner eigenen Aufhebung.

 

Das revolutionäre Proletariat vollendet auf politischem Wege die innere Tendenz des Kapitals zur Zentralisation und zum Monopol hin durch Zuspitzung zum Staatsmonopol. (Nur) die vereinten Proletarier aller Länder sind im Stande, die Gesamtheit der nationalen Staatsmonopole aufzuheben zu einer gesellschaftlich geplanten Reproduktion als Weltgesellschaft der frei assoziierten Produzenten. Bei dem Bildungsbürger Marx und seinem groß-bourgeoisen Compagnon Engels hatte daher kein regressives „Anti“ beim Kampf um die historisch nach vorne zu wendende Aufhebung des Kapitalverhältnisses Platz, sondern die Würdigung des Kapitals als (offensichtlich leider) notwendiger Durchgangsschritt auf dem Wege menschlicher Emanzipation. In einer seiner wenigen Reden2 vor größerem Publikum betonte Marx, dass die Entwicklung des Weltmarkts den Proleten nichts bringt, dagegen die proletarische Revolution objektiv befördert wie auch der Konzentrations- und Zentralisationsprozess des Kapitals diese Stoßrichtung hat – nur im letzteren Sinne begrüßte Marx den Freihandel, postmodern 'kritisch' als 'Globalisierung' paraphrasiert. Diesen Widerspruch gilt es dem Menschen zugewandt auszuhalten ohne in Zynismus zu enden und der Sache nach progressiv nach vorne aufzulösen, statt in Don Quijoterie heimiliger bürgerlich-provinzieller Biederkeit zu verfallen.

 

Und der moralisch intonierte linke „antiimperialistische Kampf“ gegen „Monopole“ etc. behauptet, sich auf Lenin berufen zu können. Auch hierbei liegen sie grundlegend falsch. Herr Uljanow schrieb 1916 mit seiner „Imperialismusstudie“3 eine Kampfschrift zur Wiederaufnahme einer Internationale der Arbeiterklasse, in der er den fortgeschrittenen Zentralisationsprozess des Kapitals gerade als günstige Bedingung zur Herstellung der Übergangsform der Staatsmonopole der erfolgreichen proletarischen Weltrevolution herausarbeitet – schon im Vorwort charakterisiert er den „Imperialismus als Vorabend der sozialistischen Revolution“.

 

Herr Wladimir Uljanow würde in seinem Mausoleums-Sarg ohne Unterlass rotieren, wenn ihm zu Ohren kommen würde, welchen konterrevolutionären Murks der nach 1923 aufkommende Marxismus-Leninismus als Legitimationsideologie des „Sozialismus in einem Lande“ verzapfte, als seine Studie zu einer ominösen „Imperialismustheorie“ kanonisiert wurde, um den ausgerufenen „Sozialismus in einem Lande“ in Koexistenz mit den westlichen Bourgeoisien durch antimonopolistische Volksfronten zu „verteidigen“. Und wenn er erst die Ergebnisse dieser SU-Politik – die blutigen Niederlagen der Volksfrontpolitik in China 1928, in Spanien 1936 und in Frankreich 1936 sowie das italienische und deutsche Desaster – sowie die heutigen mickrigen linken „antiimperialistischen“ Aufmärsche weltweit mit eigenen Augen sehen könnte, würde er flugs seine Augen eigenhändig blenden.

 

Der Begriff des Imperialismus war einst inhaltlich bestimmt als Kampf der Nationen mit allen Mitteln um die Neuaufteilung des schon verteilten Weltmarkts. Dass die Konkurrenz der gesellschaftlichen Gesamtkapitale der Nationen deren staatliche Machtpolitik generierte, war der KP-Linken schon in den 1920 Jahren abhanden gekommen. Stattdessen setzte der Marxismus-Leninismus die Interessen der „Monopole und des Finanzkapitals“ begriffslos identisch mit den Interessen der Nationen, obwohl jene als entstehende und vergehende Bruchstücke der nationalen Gesamtkapitale nur partikulare Interessen haben können, welche die nationale Weltmarktpolitik als Resultante der nationalen innerbourgeoisen Interessengegensätze austarieren muss.

 

Als dann die inzwischen zu großem Umfang akkumulierten Einzelkapitale nach 1970 verstärkt in den Binnenmärkten der anderen Nationen Produktionsstandorte errichteten, kam das ebenfalls begriffslose Schlagwort der „Transnationalen Konzerne“ in Mode, gerade so als ob dies etwas qualitativ Neues wäre. Dabei kann das Kapitalverhältnis gar nicht anders gefasst werden als gleichzeitig im lokalen, nationalen und globalen Rahmen zu existieren.

 

Die dynamische Zunahme des Welthandels nach 1985, die Verkürzung der Zirkulationszeit der Waren, die digitale Revolution des Bankenwesens und der Börsengeschäfte im Laufe der 90er Jahre und der damit verbundene beschleunigte globale Umschlag des fiktiven Kapitals in Echtzeit und die mit der gewaltigen Akkumulation des wirklichen Kapitals einhergehende Akkumulation des Geldkapitals und der ungeheuren Ausdehnung des Kreditsystems führte in der Literatur der Linken zur Verkehrung von Wesen und Erscheinung der Reproduktion des Kapitals.

 

Die weltweit einhergehende Durchsetzung des Freihandels wurde moralinsauer als 'Globalisierung' bekämpft, da sonst die Kleinproduzenten zermalmt werden und der Ami uns kulturimperialistisch mit Genfood und Big Mac's die deutsche (vegane?) Fernsehkoch-Hochkultur sowie mit 'primitiven' Soap-operas unsern heimattreuen Bauer-sucht-Frau-Abend zerstören will.

 

Nicht mehr die inneren Gesetzmäßigkeiten des Gesamtprozesses des Kapitals mit dem Widerspruch zwischen den gesellschaftlichen Produktivkräften und den diese fesselnden Produktionsverhältnissen waren nun die Triebfeder dieser Gesellschaftsformation. Anstatt die wahrhaft gewaltige Ausdehnung des Kreditsystem nach 1981 aus der Entfaltung der gesellschaftlichen Produktivkräfte und der einhergehenden Ausdehnung der industriellen Produktion als notwendig für die Aufrechterhaltung der Akkumulation des wirklichen Kapitals – der von Volkswirtschaftlern wie auch der Linken irrational abgetrennten „Realwirtschaft“ – zu begreifen, setzte sich das Gerede vom „Finanzmarkt getriebenen Kapitalismus“ allerorten durch. Damit sitzt die übergroße Mehrheit der weltweiten Linken seit 20 Jahren in der Globalisierungsfalle.

 

Die Bewegung der Selbstverwertung des Kapitals mit seiner zentralen kapitalproduktiven industriellen Form wurde einseitig von seinen bloßen Durchgangsformen von Ware und Geld getrennt und aufs Geldkapital als Motor eines neu ausgerufenen „Akkumulationsregimes“ reduziert.

 

Wenn also das „Finanzkapital“ jede Grenze des Nationalstaates auf Grundlage der großen Beweglichkeit des Geldkapitals – flüchtig wie ein scheues Reh – sowie aller Wertpapiere als fiktives Kapital jederzeit überschreiten kann und dazu in den zwanzig Sturm und Drang Jahren des Kapitals bis 2007 die großen Nationen zur Aufrechterhaltung des Weltkreditsystems und Bankenwesens und zum Ausbau des Welthandels zur allergrößten internationalen Zusammenarbeit in mannigfaltigen global agierenden Organen gezwungen werden, weil ihnen sonst der ganze Kreditladen um die Ohren zu fliegen droht, dann, ja dann folgert der Zeitgeist, hat der Nationalstaat seine Bedeutung verloren und die Politik wird vom „Finanzkapital“ beherrscht, welches ihr diktiert, was zu tun ist. Folglich fordert der begriffslose Zeitgeist, dass das Primat der Politik den „Casinokapitalismus“, bändigen soll.

 

In dieser Illusion kommt der nicht nur deutsche Aberglauben an den Staat offen zum Tragen. Der bürgerliche Staat erscheint als klassenneutrale eigenmächtige Gestalt und wird nicht als die nur notwendige politische Form für die allgemeinen 'Volksangelegenheiten' des Inhalts der Profitmacherei des gesellschaftlichen Gesamtkapitals begriffen, das seinen Nationalstaat generiert und materiell wie ideologisch ausstattet und inhaltlich als ideellen Gesamtkapitalisten bestimmt. Dass dann die deutsche Linke vor lauter Banken-Bashing die zugespitzen Kämpfe der EU-Staaten gegen die deutsche hegemoniale EU-Politik nicht auf den Punkt zu bringen vermag, sondern sogar von friedlichen Staaten von Europa spricht, ist konsequent, aber zugleich ein politisches Desaster historischen Ausmaßes. Die Mainstream-Linke bis hin zu ihren linksradikalen Rändern hat sich mit der Fixierung auf die grenzenlose Zirkulationssphäre des Kapitals selbst ihres theoretischen Werkzeugs der Analyse des Gesamtprozesses des Kapitals beraubt, das notwendig ist zum programmatisch-politischen Eingreifen der proletarischen Klasse im Klassenkampf der gegenwärtigen Weltmarktkrise. Soweit zum aktuellen „antikapitalistischen Kampf“ von links.

 

Da an dieser Stelle der 'linke' Zeitgeist kritisiert wird, sind noch ein paar Worte zur Nürnberger Krisis fällig, ohne auf deren sektentypische Zerfallsprodukte einzugehen. Robert Kurz ging seit den 1990er Jahren wortgewaltig raunend daran, sich vom so diffamierten „exoterischen Traditionsmarxismus“ absetzend, den sogenannten 'esoterischen' Marx Stückweise zu konfudieren.

Das Moment der abstrakten Arbeit des von Marx entwickelten Doppelcharakters der Arbeit4 wurde zu einer aparten eigenen Arbeits-Gestalt aufgeplustert, gemeint war die schlechte Identitätssetzung von abstrakte-Arbeit = Lohnarbeit = Arbeit. Diese Modifikation der kritischen Theorie der Frankfurter Schule, wie sie M. Postone in den 1970er Jahre in seiner Dissertation5 entwickelte, bezog sich zugleich auf eine sich der Formkritik des Wertes entziehende ominöse „fundamentale Wertkritik“.6 Das ganze esoterische Getue kam bei einer durch die Auflösung der SU erschütterten Linken als Ausweg an, weil die „fundamentale Wertkritik“ vom Nürnberger Spitzenberg gekoppelt ward an die Prognose eines „Zusammenbruchs“ des „Casinokapitalismus“ dadurch, dass dem Kapitalismus durch die digitale Revolution die „Arbeit“ ausgehe. Der Traum vom „Zusammenbruch des Kapitalismus“ und einer „Aufhebungsbewegung von unten“ ohne einen 'machtgeilen' politischen Parteiapparat gefällt bis heute nicht wenigen Linken, obwohl die Empirie der letzten zwei Jahrzehnte das genaue Gegenteil belegt: die Lohnarbeiter der Welt und somit wertsetzender produktiver Arbeit haben sich seither verdoppelt und Bewegungen von 'unten' belegen regelmäßig borniertes partikulares Interessensgeschrei. Was sich hingegen rasant minimiert hat, ist die notwendige gesellschaftliche Arbeitszeit zur Herstellung eines gegebenen Quantums von Waren. Marx setzte daher den Akzent bezüglich der widersprüchlichen Entwicklung von einerseits maximaler Einsparung der für die Reproduktion der Ware Arbeitskraft notwendigen Arbeitszeit und andererseits für die Kapitalverwertung notwendiger Erweiterung der überflüssigen Arbeitszeit auf das sinnlos Werden der Arbeitszeit als Maß und Quelle des gesellschaftlichen Reichtums: die Einsparung von Arbeitszeit gerät zugleich zum Sprengsatz der kapitalistischen Produktionsweise:

 

Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch [dadurch], daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt. Es vermindert die Arbeitszeit daher in der Form der notwendigen, um sie zu vermehren in der Form der überflüssigen; setzt daher die überflüssige in wachsendem Maß als Bedingung — question de vie et de mort — für die notwendige. Nach der einen Seite hin ruft es also alle Mächte der Wissenschaft und der Natur wie der gesellschaftlichen Kombination und des gesellschaftlichen Verkehrs ins Leben, um die Schöpfung des Reichtums unabhängig (relativ) zu machen von der auf sie angewandten Arbeitszeit. Nach der andren Seite will es diese so geschaffnen riesigen Gesellschaftskräfte messen an der Arbeitszeit und sie einbannen in die Grenzen, die erheischt sind, um den schon geschaffnen Wert als Wert zu erhalten. Die Produktivkräfte und gesellschaftlichen Beziehungen – beides verschiedne Seiten der Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums – erscheinen dem Kapital nur als Mittel und sind für es nur Mittel, um von seiner bornierten Grundlage aus zu produzieren. In fact aber sind sie die materiellen Bedingungen, um sie in die Luft zu sprengen.“7

 

Weiter zur Kritik des linken Zeitgeistes: Bei jedem Kriegsschauplatz der imperialistischen Räuberbande räsoniert die überkommene Linke über Menschenrechte8, über gerechten und ungerechten Krieg, über böse und weniger böse Imperialisten als Grundlage ihrer Antikriegs-Aktionen. Die zur Schau gestellte moralische Keule verrät den kleinbürgerlichen Pazifismus. Die Phrase, dass Krieg kein Mittel zur Lösung von Problemen ist, ist geschichtsblind, sie verkennt die Rolle der Gewalt gerade auch in der annexionsreichen deutschen Geschichte eklatant. Der deutschen Linken ist die proletarische politische Stellung zum Krieg vollständig abhanden gekommen, wonach der Krieg die Fragen des wer schlägt wen sowie was nützt hierbei dem Proletariat aufwirft und somit Krieg als reine taktische Frage behandelt.

 

Die deutsche Linke ist soweit auf den Hund gekommen, dass sie ohne eigenes Profil (im Bündnis) mit allen „antiimperialistischen Kräften“ von ganz links bis ganz rechts gegen die USA als „Hauptfeind aller Völker“ marschiert. Sie protegiert hierbei ideologisch die deutsche Bourgeoisie. Dabei wäre es ihre historische Aufgabe, dem Klassenkampf der eigenen Bourgeoisie auf ihrem eigenen Territorium durch die politische Organisierung der lohnabhängigen Klasse Paroli zu bieten. Statt den Hauptgegner im eigenen Land9 zu schwächen, stärkt sie ihn, indem sie sich auf den wankenden Weltmarkthegemon USA als Galionsfigur fixiert. So jedenfalls wird dem Hässlicherwerden Deutschlands und der Deutschen in die Hände gespielt, anstatt ihm in die Parade zu fahren und dadurch Signale zu setzen für die anderen nationalen proletarischen Abteilungen in Europa zur Bündelung der Kräfte zur Organisierung einer klug koordinierten flexiblen Defensive gegen die angebrochene Periode scharfer Austeritätspolitik in der EU.

 

Hier ist übrigens nicht die Stelle der Kritik der imperialen Politik aller Hauptkräfte des Weltmarkts. Dies kann zu allererst nur Aufgabe der jeweiligen nationalen Abteilungen des Weltproletariats sein. Daher geht es an dieser Stelle auch nicht um die Schonung anderer Schurken des Weltmarkts10. Es geht auch nicht um „Ideen“ zur „Bändigung des Kapitalismus“ mit Ratschlägen ans politische Personal, diese Krise besser zu meistern11, um so die Wiederkehr des hässlichen Deutschlands zu verhindern. Wieso soll das Proletariat in der Weltwirtschaftskrise die Drecksarbeit für die Bourgeoisie übernehmen? Wieso soll das Proletariat seine Zeit mit Gedanken hierüber verschwenden? Um nachher einen umso stärkeren Arschtritt von ihr abzukriegen?

 

Es geht im vorliegenden Text darum, den Ausbau der Stellung der deutschen Bourgeoisie auf dem Weltmarkt samt dessen faktische Unterstützung durch die Linke hinreichend kritisch zu würdigen, um daraus bestenfalls Schlüsse ziehen zu können für die Aufkündigung der deutschen Volksgemeinschaft durch die Orientierung auf eine Arbeitereinheitsfront auf der Grundlage einer klassenorientierten proletarischen Linie, um den Abwehrkampf gegen die stetigen Angriffe von Seiten der Herrschenden und deren politischen und gewerkschaftlichen Geschäftsausschüssen zur Verbesserung der deutschen „Wettbewerbsfähigkeit“ als nie endender Spirale im Kampf der Nationen wirkungsvoll führen zu lernen – an eine 'Arbeiter-Offensive' ist vorher gar nicht im Ernst zu denken.

 

Eine proletarische Linke fordert beispielsweise den Staatsbankrott und stützt den bürgerlichen Staat nicht noch durch Forderungen wie „Reichensteuer“ oder „umFairteilen“. Denn jede Staatsschuld ist nichts anderes als die Privatisierung öffentlicher Steuereintreibung. Ging eine alte Parole nicht so: „Keinen Groschen und keinen Mann für diesen Staat!“? Oder wenn eine „Vermögensabgabe“ gefordert wird, dann nicht als Steuern an den Staat, sondern bitte schön zur Senkung der indirekten Massensteuern, beispielsweise der Mehrwertsteuer auf alle notwendigen Lebensmittel des proletarischen Warenkorbes oder noch effektiver zur Auffüllung der Sozialkassen und deren Übergang in die Selbstkontrolle der lohnabhängigen Klasse.

 

Die proletarische Linie fokussiert ihren Kampfohne die regelmäßigen Lohnkämpfe zu vernachlässigen – allerdings nicht auf die „Verteilungsfrage“, setzt sich auch nicht für die ewige Augenwischerei einer sogenannten „Wirtschaftsdemokratie“ ein, fordert nicht die Verstaatlichung von maroden Banken und Konzernen in der Krise. Die proletarische Linie geht an die Produktionsgrundlagen des Kapitals und versucht, der Bourgeoisie die proletarischen Vorstellungen der Produktionsbedingungen ein Stück weit aufzuzwingen. Da die Länge des Durchschnittsarbeitstages den Umfang der Mehrwertproduktion bestimmt, ist der Kampf um eine Verkürzung des Normalarbeitstags auf sechs Stunden an fünf Tagen der Woche und die Änderung des Arbeitszeitgesetzes hin zur Beschränkung der maximalen Wochenarbeitszeit auf 40 und später 35 oder 30 Stunden – sowie von proletarischen Fabrikinspektoren zur effektiven Überwachung von deren Einhaltung durch die Kapitalisten – die zentrale Frontlinie im Parteibildungsprozess des Proletariats. Mit dieser Marschrichtung, wo die gesetzlich vollzogene Abänderung des Arbeitszeitgesetzes jedoch nur der parlamentarische Abschluss einer gewaltigen proletarischen Machtdemonstration in den Betrieben und auf der Straße wäre, würde das Proletariat sich tatsächlich einen entschiedenen Schritt weit selbst als politische Macht als Klasse-für-sich konstituieren, indem es die Volksgemeinschaft aufkündigt und seine Bedingungen der Bourgeoisie aufzwingt.

 

Ob die progressiven Kräfte in Deutschland sich auf ein entsprechendes die Volksgemeinschaft aktiv sprengendes proletarisches Aktionsprogramm einigen und es in politische Praxis umsetzen können, um über einen solchen Weg des proletarischen Klassenkampfes das hässliche Deutschland verhindern zu können, ist nach ihrem gegenwärtigen desolaten Zustand zu urteilen, äußerst fraglich12. Die Kritik der klassenorientierten deutschen Linken und des Reformismus ist Gegenstand des letzten Abschnitts des Teils III dieser Arbeit. Dort wird die Geschichte Deutschlands dann nicht mehr aus Sicht der deutschen Bourgeoisie und dem nationalen Gesamtkapital abgehandelt, sondern nach der tatsächlichen geschichtlichen Rolle des proletarischen Klassenkampfs in den drei deutschen Versuchen der Erlangung einer Weltmachtrolle reflektiert.

 

1 Zur Erinnerung zwischendrin: Die lohnabhängige Klasse umfasst sämtliche Individuen von der Wiege bis zur Bahre, die zum Überleben auf den Verkauf ihrer Ware Arbeitskraft angewiesen sind.

 

2 Am Schluss von: Karl Marx, Rede über die Frage des Freihandels, MEW 4, S. 458

 

3 Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, geschrieben Frühjahr 1916, Lenin-Werke Band 22, Berlin 1960

 

4 Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie MEW 13, S. 17 f

 

5 Moishe Postone, Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft. Eine neue Interpretation der kritischen Theorie von Karl Marx. Freiburg: ca-ira, 2. Auflage 2010

 

6 Eine Würdigung der Arbeiten R. Kurz' sowie deren vernichtende Kritik siehe: Daniel Dockerill, Krisis am Ende, Übergänge Nr.1, Juni 1994, Archiv Übergänge der Proletarischen Plattform. Vielleicht hat Robert Kurz selig inzwischen im Himmelreich den ollen Kalle getroffen, der ihm bezüglich der Dialektik von Form und Inhalt des Werts mal beim Bier sicherlich auf die Sprünge helfen konnte.

 

7 MEW 42, S. 601 f

 

8 Siehe hierzu Anhang 3: Daniel Dockerill, Kapital und Menschenrechte. Übergänge-Archiv. Es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass die Linke die Menschenrechte positiv bejaht, anstatt diese aus der Negation des Menschen in seiner proletarischen Nacktheit der aufkommenden bürgerlich-kapitalistischen Epoche zu begreifen.

 

9 Deutlich ausgesprochen und regelmäßig analysiert wird der imperialistische Charakter der Außenpolitik der Berliner Republik nach den bescheidenen Kenntnissen des Autors nur in der Kommunistischen Arbeiter Zeitung (KAZ). http://www.kaz-online.de/magazine.php?curl=arc&sel=i&p=1

 

10 Wenn England, Frankreich, Niederlande und USA im vorliegenden Text scheinbar besser davonkommen als Deutschland, so stimmt dies nur für die vom deutschen nationalen Gesamtkapital modulierten Kontinuitäten feudaler Formen und Inhalten der deutschen Ideologie und der unberechenbaren politischen Praxis der „freien Hand“ der Berliner Republik. Die imperialistischen Schurkenrollen ersterer sind nicht Gegenstand vorliegender Darstellung – die Kräfteverhältnisse des Weltmarkts kommen ihrerseits noch zur Sprache.

 

11 Vor allem Frau Wagenknecht von der Partei DIE LINKE brachte sich 2012, von allen bourgeoisen Kampfblättern hofiert, wiederholt mit Vorschlägen zur Rettung der europäischen Länder in Stellung für höhere bürgerliche Aufgaben. Wagenknecht, Sahra (2012): Freiheit statt Kapitalismus: Über vergessene Ideale, die Eurokrise und unsere Zukunft, Campus. Für Frau W. sind die ordoliberalen 'Ideale' des Herrn Eucken ect. pp – Wettbewerbsstaat auf dem Weltmarkt plus Verpflichtung des Privateigentums aufs Allgemeinwohl –, welche die Freiburger Herren Professoren dem Mann mit dem Schnurrbärtchen anboten und ab 1942 ein 'Wirtschaftsfachmann' mit Namen Ludwig Erhard zur abzusehenden Nachkriegsordnung einer sogenannten 'Sozialen Marktwirtschaft' umformulierte, wohl der Weg zu 'Freiheit durch Sozialismus' und der Weg Europas aus der Krise. Wie sehr sie sich täuschen wird.

 

12 Zur nochmaligen Erinnerung daran, dass Geschichte anders verlaufen kann als man in erster Annäherung denkt, weil die Menschen sich mit den veränderten Umständen selbst verändern, sei andererseits an den Briefwechsel von Kalle Marx und seinem empirischen alter ego Frederik E. vor dem deutsch-französischen Krieg im Juli 1870 verwiesen. Beiden war klar, dass, wenn Napoleon III. als Ausweichmanöver vor den inner-französischen Klassenwidersprüchen zum Angriff auf Deutschland übergehen werde, Frankreich eine vernichtende militärische Niederlage gegen das sich zusammenschließende Heer der deutschen Fürsten unter preußischer Führung kassieren werde. Und dass dann der Krieg in den revolutionären Bürgerkrieg zumindest in Paris umschlagen könne. Und Marx fügt skeptisch an, dass nun aber die Bevölkerung von Paris nach zwanzig Jahren moralischen Verfalls dazu ungeeignet sei. Engels antwortet hierauf zustimmend, dass für eine solche Revolution wohl die gesamte Pariser Bevölkerung ausgetauscht werden müsste. Neun Monate später – die Parasitenmischpoke hatte sich mit ihrer Regierung nach Versailles verzogen – widersetzte sich Paris dem preußischen Kapitulationsdiktat und errichtete die Pariser Kommune als erster Form der Diktatur des Proletariats. Siehe Marxens Brief vom 18. Juli 1870 in: MEW 33.

Tatsächlich bewahrheitete sich in der Pariser Commune, wie in der russischen Revolution 1917 sowie den anderen proletarischen Vorstößen in den europäischen Ländern bis 1936 die Marx'sche 3. These über Feuerbach:

"Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie muß daher die Gesellschaft in zwei Teile – von denen der eine über ihr erhaben ist – sondieren.

Das Zusammenfallen des Ändern[s] der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefaßt und rationell verstanden werden.“ MEW 3, S. 5-7

Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

Wertkritischer Exorzismus
Hässlicher Deutscher
Finanzmarktkrise