Der hässliche Deutsche der Gegenwart ist allerdings nicht nur der arroganten Zuchtmeisterrolle der deutschen Politik im EU-Raum geschuldet. Der Rest Europas erfährt in der veröffentlichten deutschen Meinungsmache des Internetzeitalters detailliert den klassenübergreifenden Schulterschluss zwischen den Beherrschten und Herrschenden des Kapitalstandorts Deutschland. Dieser scheint sich demnach noch enger als Gemeinschaft des ganzen deutschen Volkes: als Volksgemeinschaft zu festigen.
Der Wirtschaftsbürger, also Steuerzahler, sieht in Deutschland – wie in allen Ländern – mit Empörung, wie immer weniger
Netto vom Brutto in seiner Geldbörse übrig bleibt, wenn er durch die staatlichen Abgaben geschröpft wird. In dem Moment, wo scheinbar unberechtigte Geldflüsse in andere Länder gehen,
kommt sein Charakter als Staatsbürger zum Vorschein. Er geriert sich höchst selbst als außenpolitischer Sparkommissar. Demzufolge ist nicht nur die deutsche Politik für so manchen
Nachbarn hässlich, sondern die Deutschen wandeln sich wieder einmal zum hässlichen Staatsvolk.
Das Staatsvolk des deutschen Wirtschaftsterritoriums ist zusammengewürfelt aus 150 Nationalitäten. Deren mitgebrachte Vorurteile gegenüber anderen Nationen verschmelzen mit den überkommenen deutschen Ressentiments gegenüber anderen Ländern[1]. Heraus kommt ein aufgekochtes (halbfeudalistisches bis rassistisches, biologistisches, jedenfalls) sozialdarwinistisches Arsenal an herabwürdigenden Stammtischparolen des gesunden Menschenverstandes. Es steht zu befürchten, dass das deutsche Staatsvolk aller hier lebenden Nationalitäten mit der Zuspitzung der Krisenerscheinungen wiederum in übelsten deutsch-völkischen Chauvinismus regrediert. Das Arsenal des Hasses und der Verachtung über seine verarmten Nachbarländer füllt sich beängstigend. Falls es geöffnet wird und zum Einsatz kommt, so wäre dies die Fortsetzung und Verschärfung der vielfachen Aufspaltung der lohnabhängigen Klasse am deutschen Standort.
Um das Potential eines neuzeitlichen Furor Teutonicus zu begreifen, lohnt ein kurzer Blick auf die kleinen Nachbarländer. Können sich Luxemburger, Belgier, Niederländer, Polen usw. genau so ungeniert zum Zampano aufschwingen, wie die deutschen Wirtschaftsinsassen? Selbst wenn viele dort ähnliche Meinungen und Vorurteile haben wie hier, so vermag noch die populistischste Politik dieser Winzlinge des Weltmarkts kein gewichtiges Wort in der EU- oder gar EURO-Krise anzubringen. Ihr Problem ist umgekehrt die zunehmende ökonomische und politische Vorherrschaft Deutschlands in der EU. Der völkische Chauvinismus von Weltmarktwinzlingen kann zwar den Furor im Inneren entfachen – wie es aktuell Deutschlands ökonomischer und politischer Satellit Ungarn vormacht. In der Regel können Länder mit geringem ökonomischem Gewicht jedoch selbst als regionale Imperialisten ihre Nachbarländer nur soweit dominieren, wie es ins Gefüge der Dispositionen ihres eigenen Hegemons auf dem Weltmarkt passt.
Daraus lässt sich folgern, dass die südeuropäischen, nordafrikanischen und kleinasiatischen Arbeitsemigranten nach Frankreich, Belgien und den Niederlanden von vollkommen anderer nationaler Ideologie umgeprägt wurden als ihre nach Deutschland gezogenen Landsleute. Jedes geschichtliche Ereignis wird von jeder Nation durch die aus ihrer jeweiligen Stellung im Weltmarktgefüge erwachsenen Interessen gewichtet und bewertet. Nachträglich wird es funktional in den Kanon der nationalen Ideologie eingeschmolzen. Jedes nationale Ideologiekonstrukt bezüglich eines jeden anderen Landes ist unterschiedlich je nach nationalen Interessen spezifisch eingefärbt. Zusätzlich modifizieren es geschichtliche Kontinuitäten und Brüche des Verhältnisses je zweier Nationen.
Der spezifische Nationalismus einer jeden Nation ergibt sich also daraus, dass Nationen entgegengesetzte Wirtschaftsinteressen haben, weil sie in ökonomischer Konkurrenz zu einander stehen. Der seit 2008 um sich greifende Protektionismus belegt dies wieder einmal und straft den Glauben der Globalisierungskritiker an das Ende der nationalen Politiken Lügen. Der sogenannte Nationalcharakter der Völker ist demnach ein historisches Produkt und liegt nicht in den Genen ihrer Bürger. Die bürgerlichen Träumer von friedlichen Vereinigten Staaten von Europa und einer „gefühlten“ post-nationalen Ära der EU[2] können in ihrem personifizierenden politischen Voluntarismus nicht verstehen, dass die Konkurrenz der gesellschaftlichen Gesamtkapitale der Nationalstaaten[3] trotz ihrer intensiven Verflechtungen nicht durch faire Kooperation der Nationen von noch so wohlwollenden Politikern ausgeschaltet werden kann, sondern sich in Phasen ihrer Zusammenarbeit, verdeckt durch die Erfolge aller, verstärkt.
Mit der Lissabon-Strategie und Sondermaßnahmenbündeln haben die Staaten der EU, angetrieben vom deutsch-französischen „Motor“, im Jahre 2000 die abenteuerliche Flucht nach vorne angetreten, um den EURO- und EU-Raum konkurrenzfähig für den Weltmarkt zu trimmen und zum produktivsten Wirtschaftsraum des Globus zu machen – was unmittelbar gegen den Hauptkonkurrenten USA gerichtet ist. Dass dies nach deutschen Vorstellungen geschieht, ist dem Produktivitätsvorsprung und dem Größenumfang des gesellschaftlichen Gesamtkapitals Deutschlands geschuldet, dessen Machtstellung in der EU auf dem Massenumfang eingesaugter Lohnsklaven beruht[4]. Unweigerlich gibt Deutschland daher den Ländern der EU den Takt der stetigen Erhöhung der „Wettbewerbsfähigkeit“ vor – schlicht und einfach durch die durch Deutschlands „erfolgreiche“ Volkswirtschaft gesetzte Verschärfung der Konkurrenz innerhalb der EU-Staaten. Auf dem Weltmarkt als des Integrals aller Nationalstaaten warten dann neben den USA und Japan noch die aufsteigenden Nationen Brasilien, Russland, Indien, China (BRIC) auf ihre Restausstattung durch die Maschinenbauhalle Deutschland. Dann werden alle gemeinsam und gegeneinander auf neuer Stufenleiter in die strukturelle Überproduktionskrise des Kapitals[5] als Ausdruck der Gesamtheit der Widersprüche der Nationalökonomien hineinsteuern. Dies wird kaum ohne das Aufkommen eines weltweiten Wirtschaftschauvinismus und zunehmendem Säbelrasseln zu haben sein.
Um das Verhalten der Wirtschaftsinsassen eines Nationalstaates als Wirtschaftsbürger und zugleich Staatsbürger zu illustrieren, greifen wir in die Science-Fiktion-Mottenkiste:
Das gesellschaftliche Gesamtkapital einer jeden Nation transformiert den Doppelcharakter der Individuen als Wirtschafts- und Staatsbürger nach seinem Ebenbild. Mittels der ökonomischen Matrix des jeweiligen gesellschaftlichen Arbeitsprozesses werden sie tendenziell zu hocheffizienten technisch versierten Termiten (Wolfgang Pohrt) des Einzelbetriebs umgeformt. Diese ökonomische Matrix hält den Einzelnen trotz seiner objektiven Kooperation als Teilarbeiter des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters und trotz des gesellschaftlichen Charakters der daraus entspringenden Produktivkraft des Arbeitsprozesses[6], zugleich blind bezüglich des gesellschaftlichen Gesamtreproduktionsprozesses.
Die politische Matrix des jeweiligen nationalen Gesamtkapitals versucht, die soziale und politische Spaltung der arbeitenden Klasse durch die Klasse selbst auf der Grundlage der Konkurrenz der Arbeitskraft-Besitzer zu entfachen. Unbedingt muss verhindert werden, dass sie sich als politisch bewusste Klasse-für-sich vereinigt. Denn dann vermögen die Malocher ihr technisch borniertes Termitendasein abzuschütteln und die Matrix nach menschlichem Maß umzuprogrammieren. Diese Gefahr entsteht für die Bourgeoisie gerade mit zunehmendem Klassenkampf in zugespitzten Krisen wie heute. Das gilt es propagandistisch zu verhindern und stattdessen als letzten Strohhalm die individuellen Regressionsmomente des Rückgriffs auf die nationale Identifikation zu stimulieren. Die besonderen in- und ausländischen nationalen Interessen des Privateigentums werden dann als allgemeine gesellschaftliche Interessen nicht mehr nur propagiert, sondern der Staatsbürger springt selbst – als materieller Krisengewinnler und zugleich ideologisches Opfer der herrschenden Gedanken als der Gedanken der Herrschenden – für sie in die Bresche. Dadurch hofft er sich selbst als hiesiger Wirtschaftsbürger zu retten.
Das Hässlicher Werden des Deutschen ist demnach vorprogrammiert. Dabei sind die Deutschen – wie die anderen Völker auch – in prosperierenden Zeiten eher Biedermänner als Brandstifter. Brandstifter wurden die Deutschen zweimal, als das nationale Gesamtkapital im militärischen Anlauf zur Weltmacht den Ausweg aus kapitalistischen Überproduktionskrisen suchte. Da lag die Zeit der hässlichen Spanier, Portugiesen, Niederländer, Engländer schon im Dunkeln bürgerlicher Geschichtsschreibung, wo sie zu nationalen Heldentaten umgedeutet wurden.
Seit den Maastricht-Verträgen ist inzwischen der hässliche Europäer einer neuen Qualität entstanden. Die EU-Staaten bauen die Festung Europa des sogenannten Schengen-Abkommens. Die Bürger der EU-Staaten hausen in einer Festung, an deren Seegrenzen tausendfach jene Arbeitsemigranten ersaufen und verrecken, welche den vorgeschalteten Auffanglagern in Afrika entkamen. Und jene, die durchkommen, laufen Gefahr, in Abschiebeknäste gesteckt zu werden und umgehend zwangsdeportiert den Häschern zu Hause zu Folter und Mord übergeben zu werden. Den hässlichen Europäer zeichnet aus: Er trägt Demokratie und Menschenrechte als Werte des christlichen Abendlandes plakativ vor sich her und gleichzeitig bestätigt er durch Stillschweigen sein Einverständnis mit dem üblen Treiben seiner jeweiligen Regierung und dem EU-Apparat. Wenn wir den Schaum vorm Mund des rauschenden deutschen Blätterwaldes beim jährlichen Ritual von Mauerbau, Stacheldraht und Mauertoten mit dem geschlossenen Schweigen im Blätterwald der EU-Staaten bezüglich FRONTEX[7] vergleichen,dann wissen wir, wessen Kind jene Freiheit ist, die sie meinen. Der EU-Wirtschaftsbürger hofft, seinen Lebensstandard zu sichern, indem er den Staatsbürger Gnadenlos der abscheulichsten Sorte von Menschenpack spielt.
Vor diesem sozial-chauvinistischen Hintergrund in den EU-Ländern kann der sich in der laufenden Weltwirtschaftskrise zusammenziehende Gordische Knoten des Kampfes um die Neuaufteilung des Weltmarkts von der bürgerlichen Politik nach geschichtlicher Erfahrung nur unter großen gesellschaftlichen Erschütterungen durchschlagen werden. Der Größenumfang der gegenwärtig weltweit auflaufenden faulen Kredite hat das Potential, im Falle des temporären Zusammenbruchs des Weltkreditsystems dem hässlichen Europäer nicht nur die Wurst vom Brot zu nehmen, sondern seine lohnarbeitende Existenz massenhaft zu vernichten.
Dann wird sich der hässliche Europäer in allen EU-Staaten nach menschlichem Ermessen in regressives und progressives Menschenpack spalten – wie es schon im Vorfeld seit 2011 in den südeuropäischen Ländern geschieht. Dies vermag zum Weckruf für die lohnabhängige Klasse aller europäischen Länder umschlagen, ihre eigenen Spaltungen zum Klassenkampf hin zu überwinden, um überhaupt zur geordneten Defensive des Abwehrkampfes um ihre bloße Existenzsicherung zu gelangen. Sollte dies gelingen, so treiben die Klassenkämpfe der Sache nach über reine Defensivforderungen hinaus. Und das europäische Proletariat stellte sich somit selbst vor die Alternative, doch noch selbstbewusst die allgemeine Systemkrise geschichtlich progressiv nach vorne in Richtung einer freien, klassenlosen und daher staatenlosen Weltgesellschaft aufzulösen. Angesichts des gegenwärtigen desolaten Zustands der Theorie und Praxis der Arbeiterbewegung in Europa ist dieser Ausblick zwar kaum vorstellbar. Aber es ist im geschichtlichen Maßstab auch nicht auszuschließen, dass der Europäer und insbesondere der Deutsche die scheinbare Unausweichlichkeit seines hässlicher Werdens im Zuge der Krisenverschärfung diesmal doch abzuwenden vermag.
Jedenfalls wird sich das Proletariat des deutschen Wirtschaftsterritoriums nächstens kaum mit dem Kopf-im-Sand-Versteckspiel weiterhin aus der Affäre ziehen können. Schon früh stellt Karl Marx bezüglich des Verhältnisses von proletarischem Bewusstsein und der geschichtlich vorgegebenen Notwendigkeit klar:
„Wenn die sozialistischen Schriftsteller dem Proletariat diese weltgeschichtliche Rolle zuschreiben, so geschieht dies keineswegs, wie die kritische Kritik zu glauben vorgibt, weil sie die Proletarier für Götter halten. Vielmehr umgekehrt. Weil die Abstraktion von aller Menschlichkeit, selbst von dem Schein der Menschlichkeit, im ausgebildeten Proletariat praktisch vollendet ist, weil in den Lebensbedingungen des Proletariats alle Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft in ihrer unmenschlichsten Spitze zusammengefaßt sind, weil der Mensch in ihm sich selbst verloren, aber zugleich nicht nur das theoretische Bewußtsein dieses Verlustes gewonnen hat, sondern auch unmittelbar durch die nicht mehr abzuweisende, nicht mehr zu beschönigende, absolut gebieterische Not – den praktischen Ausdruck der Notwendigkeit – zur Empörung gegen diese Unmenschlichkeit gezwungen ist, darum kann und muß das Proletariat sich selbst befreien. Es kann sich aber nicht selbst befreien, ohne seine eigenen Lebensbedingungen aufzuheben. Es kann seine eigenen Lebensbedingungen nicht aufheben, ohne alle unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft, die sich in seiner Situation zusammenfassen, aufzuheben. Es macht nicht vergebens die harte, aber stählende Schule der Arbeit durch. Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird. Sein Ziel und seine geschichtliche Aktion ist in seiner eignen Lebenssituation wie in der ganzen Organisation der heutigen bürgerlichen Gesellschaft sinnfällig, unwiderruflich vorgezeichnet.“[8]
Das Wechselverhältnis von Krise und Revolution fasst Marx wenig später so:
„Bei dieser allgemeinen Prosperität, worin die Produktivkräfte der bürgerlichen Gesellschaft sich so üppig entwickeln (…) kann von einer wirklichen Revolution keine Rede sein. Eine solche Revolution ist nur in den Perioden möglich, wo diese beiden Faktoren, die modernen Produktivkräfte und die bürgerlichen Produktionsformen, miteinander in Widerspruch geraten. (…) Eine neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer neuen Krisis. Sie ist aber auch ebenso sicher wie diese.“[9]
Die Auffassung des historischen Materialismus von Geschichte als objektivem historischem Prozess[10] umfasst stets zugleich die Alternativen einer erfolgreichen Selbstbefreiung des Proletariats wie einen weiteren Schub der Barbarei. Die bisherige Geschichte gibt wohl eher der Akzentsetzung Heinrich Heines im Zusammenhang der Julirevolution 1830 in Frankreich recht – wonach eine Revolution schon ein Unglück, aber ein noch größeres Unglück eine verünglückte Revolution ist – als Rosa Luxemburgs für linksradikale Ungeduld beliebte Dichotomie, dass die Revolution großartig und alles andere Quark sei.
Auf Grundlage der hegemonialen EU-Stellung des nationalen Gesamtkapitals Deutschlands ist das Proletariat des Standorts Deutschland von seinem Größenumfang her die entscheidende Kraft für eine erfolgreiche Neuaufnahme proletarisch-revolutionärer Bestrebungen in Europa. Marschiert es nicht im proletarisch internationalen Namen, sind die Proletarier-Abteilungen aller anderen EU-Länder letzten Endes ebenso verloren. 1914 hatten ihre Organisationen das deutsche Proletariat das erste Mal unter Verrat ihres internationalistischen Schwurs mit der deutschen Bourgeoisie gegen die Proletarier der anderen europäischen Länder marschieren lassen. 1939 marschierten die deutschen Proletarier, vereint in der deutschen Volksgemeinschaft ein zweites Mal im Militärstiefel gegen Resteuropa. Diesmal droht ein kaum vorhersehbarer Europa-Ritt als vereinte sozialchauvinistische Volksgemeinschaft – als neue Ausformung des hässlichen Deutschen.
[1] Man nehme beispielsweise folgenden Kalauer: Heaven is where the police are British, the cooks are French, the mechanics are German, the lovers are Italian and it is all organised by the Swiss. – Hell is where the police are German, the cooks are English, the mechanics are French, the lovers are Swiss, and it is all organised by the Italians. Am Grad seiner spontanen Zustimmung kann der geneigte Leser die eigene ideologische Spur versenkter Vorurteile ermessen.
[2] So verstieg sich Gregor Gysi in linker Vorturnermanier in der Haushaltsdebatte des Bundestags 2011 gar zu der Behauptung, innerhalb des Euro-Binnenmarktes gäbe es überhaupt keine Exporte mehr zwischen den Nationalstaaten, da der Euro eine Binnenwährung sei (siehe seinen Redebeitrag am 07.09.2011, 123. Sitzung, TOP 1, Einzelplan 04: Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt; im Video ab Minute 9:20, im Protokoll S. 14476). Dass die Riege der Volkswirte der Bundestags-Fraktion der Partei DIE LINKE, heißen sie nun Schlecht, Troost oder Wagenknecht etc, hierzu nichts Kritisches einzuwenden hatte, verweist auf die linksbürgerliche ökonomie-theoretische Grundlage der Partei DIE LINKE – Lichtjahre zurückgefallen hinter die Marx´sche Kritik der Politischen Ökonomie.
[3] Der Begriff gesellschaftliches Gesamtkapital bestimmt sich nach Karl Marx als jenes funktional-ökonomische Gebilde, welches sich bei der Entfaltung eines nationalen Binnenmarktes herausbildet. Die in einander verschlungenen Einzelkapitale sind funktionale Bestandteile oder Bruchstücke dieses Gebildes, dessen zirkulierendes Wert- und Warenprodukt die Herausbildung des Durchschnitts von Kapitalrenditen, Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit sowie der durchschnittlichen Arbeitskraft usw. tendenziell bewirkt. Auf diesen Begriff trifft das Sprichwort zu Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Da wir alle, mitten im Geschehen uns bewegend, von lauter Einzelheiten wie Einzelkapitalen, Konzernen, Monopolen, Großbanken gefangen genommen sind, lernen wir den Zusammenhang der gesamtkapitalistischen Reproduktion im nationalen Rahmen überhaupt nicht kennen. Die Volkswirtschaftslehre bestreitet ihn sogar. Siehe Karl Marx, Das Kapital, insbesondere Band 2, 3. Abschnitt. Vergleiche: Guenther Sandleben, Nationalökonomie und Staat; VSA 2002. Auf die Bedeutung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals wird in Teil 2 dieser Arbeit noch genauer im Zusammenhang der Konkurrenz der EU-Staaten eingegangen.
[4] Deutschlands gesellschaftliches Gesamtkapital hatte 2011 das Kommando über fremde Arbeit von circa 40 Millionen Arbeitskräften und saugte circa 45 Milliarden Stunden Arbeitszeit aus ihnen heraus. Dieser Gesamtumfang der gesellschaftlichen Arbeit vergegenständlichte sich in einer neugesetzten Wertmasse von ca 3 Billionen Euro, deren Verteilung das BIP ungefähr wiederspiegelt. Zum Vergleich: Großbritanniens (29 Mill. Erwerbstätige), Frankreichs (25 Mill.), Italiens (22 Mill.), Spaniens (18 Mill.) und der Niederlande (8 Mill.) nationale Gesamtkapitale können also mit viel weniger ausgepressten Lohnsklaven nie das Wertvolumen und somit die Mehrwertmasse der BRD erzeugen. Siehe: http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=lfsi_emp_a&lang.de Dass das Ganze der Lohnarbeitsverhältnisse komplizierter ist und klar zwischen (kapital)-produktiver und unproduktiver Arbeit unterschieden werden muss, kann hier leider nicht verhandelt werden. Jedenfalls gibt es Untersuchungen, wonach nur die Hälfte der oben genannten 45 Milliarden Arbeitsstunden produktiv im Sinne des Kapitalismus ist. Siehe: Stefan Krüger, Konjunkturzyklus und Überakkumulation. Wert, Wertgesetz und Wertrechnung für die Bundesrepublik Deutschland, VSA, 2007. Die Privatisierungen öffentlicher Betriebe verwandelt übrigens massenhaft vorherige unproduktive in produktive Arbeit. Was den gegenwärtigen Heißhunger der Bourgeoisie auf Privatisierungen erklärt. Ebenso ist das „Outsourcing“ vieler notwendig, jedoch unproduktiver Arbeiten der Industriebetriebe zu kapitalproduktiven industrienahen „Dienstleistungs“-Branchen, wie Catering, Gebäudereinigung etc. „mutiert“.
[5] Das Kapital erweist sich in regelmäßig zyklischer Form alle 7 bis 10 Jahren als seine eigene innere Schranke. Es produziert Warenmassen über die Marktsättigung hinaus, um diese dann vernichten und überflüssige Fabrikkapazitäten verschrotten und überzählige Arbeitsleute aufs Pflaster werfen zu müssen. Mit anderen Worten, es gehört zur inneren Gesetzmäßigkeit der kapitalistischen Produktion, blind regelmäßig in mehr oder weniger scharfe Überproduktionskrisen von Kapital zu steuern. Vgl. zur Analyse der zyklischen Krisen Karl Marx, Das Kapital, alle 3 Bände. Siehe Guenther Sandleben, Finanzmarktkrise – Mythos und Wirklichkeit, Norderstedt (BoD) 2011. Zu Fragen der strukturellen Überakkumulation des Kapitals, die als Verteilungsfrage erscheint, Vgl.: Stephan Krüger (2010): Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation. Konjunkturzyklus und langfristige Entwicklungstendenzen. Kritik der Politischen Ökonomie und Kapitalismusanalyse, Band 1. VSA Verlag
[6] Zur Gesellschaftlichkeit der individuellen Arbeit: „Sie entspringt aus der Kooperation selbst. Im planmäßigen Zusammenwirken mit anderen streift der Arbeiter seine individuellen Schranken ab und entwickelt sein Gattungsvermögen“. MEW 23, S. 349
[7] Seit Beginn der Aufstände in Nordafrika hatten bis August 2011 mindestens 1000, nach einigen Schätzungen sogar mehr als 1600 Flüchtlinge im Mittelmeer ihr Leben lassen müssen. Dennoch blieben die EU-Staaten bei ihrer harten Haltung: Schutzsuchenden wurde keine Einreise in die EU gewährt. Stattdessen wurde und wird die Abschottung mittels der Grenzschutzagentur FRONTEX ausgebaut, ein EUROSUR genanntes System soll die perfekte Überwachung der Seeaußengrenzen der EU vom Schwarzen Meer bis Gibraltar gewährleisten. Die Innenminister der EU-Partner watschten unter deutsch-österreichem Vorsprech im März 2012 Griechenland wegen der „offenen“ Grenzen zur Türkei ab. In: Friedrich verärgert über griechische Grenzpolitik http://www.focus.de/politik/ausland/offen-wie-ein-scheunentor-eu-staaten-fordern-besseren-grenzschutz-von-griechenland_aid_721922.html Mit der für das Schengen-Abkommen ungünstig zerklüfteten geographischen Lage Griechenlands als süd-östlicher Flanke der EU rückt übrigens einer der geopolitischen Gründe in den Fokus, der das unbedingte Festhalten des Hegemons Deutschland an der Mitgliedschaft Griechenlands in der EURO-Zone verständlich macht.
[8] Karl Marx, Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik, MEW Bd. 2, S. 38
[9] Karl Marx, Friedrich Engels, Revue, MEW Bd.7, S. 440
[10] Die kritischen Kritiker der sogenannten Wertkritik und die Anhänger der „Neuen Marx-Lektüre“ rümpfen ihre feinen neukantianischen Näschen ob solch abgestandenen "objektivistischen" Revolutionsquarks. Die proletarische Emanzipationsperspektive liegt ohne jedes Revolutionspathos auf der von jenen attentistischen Feingeistern pejorativ abgetanen „geschichtsphilosophischen“ Linie von Marx und Engels, wie sie im ontologischen Ansatz von Fußnote 8 zum Ausdruck kommt.
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