Hintergrund. Haben die ökonomischen Verwerfungen der letzten Jahre ihren Grund in einer »Ansteckung« der »gesunden Realwirtschaft« durch die in die Bredouille geratenen Finanzmärkte? Oder geht es doch um den Kapitalismus im Ganzen?
Von Guenther Sandleben
Als die Krise im Spätsommer 2008 die gesamte kapitalistische Ökonomie beben ließ, zog man rasch Vergleiche nicht nur zum Einbruch der Weltwirtschaft 1929/32, sondern auch zu den großen Krisen des 19. Jahrhunderts.
Der Gedanke drängte sich auf, die aktuellen Ereignisse könnten größere Ähnlichkeit mit den Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts haben, als man geglaubt hatte. Karl Marx und Friedrich Engels, die großen Kritiker des Kapitalismus, deren Theorien vielen als historisch überholt gegolten hatten, schienen zumindest mit ihrer These Recht behalten zu haben, dass die kapitalistische Ökonomie keineswegs reibungslos funktioniere, sondern kraft innerer Widersprüche und Gegensätze notwendig zu Krisen und Katastrophen treibe.
So sehr diese Gedanken sich auch aufdrängten, die Öffentlichkeit mit ihrer gut ausgebauten systemstabilisierenden Meinungsindustrie drängte keineswegs zu dieser Einsicht. Im Gegenteil: Alle Abteilungen der Gesellschaft, von Wirtschaft und Politik über die Verbände, Stiftungen, Forschungsinstitute bis hin zu den Medien ließen nur eine Kriseninterpretation zu: Die an sich gesunde »Realwirtschaft« habe sich eine schwere Infektion durch eine Krise der Finanzmärkte bzw. durch ein Fehlverhalten von Banken, Aufsichtsbehörden, Ratingagenturen oder Politikern geholt. Auf diese Weise wurde der ökonomische Kernbestandteil des Kapitalismus aus der Schusslinie einer möglichen Kritik genommen.[1]
Eine Analyse des Krisengeschehens von 2006 bis heute zeigt jedoch, dass die zur »Realwirtschaft« mystifizierte Warenwirtschaft, die in Wirklichkeit immer schon Geld- und Kreditverhältnisse einschließt, keineswegs so gesund ist, wie behauptet wird. Gegenwärtig handelt es sich nicht primär um eine bloße Krise der Finanzmärkte, die auf die Warenwirtschaft übersprang, sondern um eine der kapitalistischen Warenproduktion selbst. Wenn Marx den Ökonomen seiner Zeit vorwarf, sie würden die Kreditbewegung – darin eingeschlossen die Finanzmärkte – fälschlicherweise zur Ursache des »industriellen Zyklus« und damit auch der regelmäßig wiederkehrenden Krise machen, dann trifft jene Kritik uneingeschränkt auch die heutigen Krisendeuter.
Ausgangspunkt Immobilienmarkt
Als die Banken Mitte 2007 das erste Mal schwer erschüttert wurden, gingen dieser Krise massive Absatzprobleme vor allem auf dem US-Immobilienmarkt voraus. Bereits im Juli 2005 hatten die Hausverkäufe ihren Höchststand erreicht. Nach anfänglichen Schwankungen auf hohem Niveau setzte Anfang 2006 eine Abwärtsbewegung ein, die sich im Jahresverlauf beschleunigte. Bis Mitte 2007 halbierten sich die Hausverkäufe. Es waren zu viele Häuser gebaut worden im Vergleich zur zahlungsfähigen Nachfrage. Die Überproduktionskrise in der US-Bauwirtschaft beendete eine lange Phase von Preissteigerungen. Der Case-Shiller Home Price Index erreichte im Frühjahr 2006 seinen Höchststand. Ein knappes Jahr später setzte eine rasante Talfahrt ein.
Für den Hypothekenmarkt war dies ein kritischer Punkt. Fallende Immobilienpreise erforderten zusätzliche Sicherheit, die nicht gegeben werden konnten. Arbeitslosigkeit und steigende Zinsen erschwerten die Bedienung der Schulden. Darlehen mussten als uneinbringlich abgeschrieben werden. Häuser wurden zwangsverkauft, die Preise fielen weiter, die nächsten Kredite platzen, gefolgt von weiteren Zwangsverkäufen. Mit der Kreditkrise wurden die Banken erschüttert.
Die Kredit- und Bankenkrise war also keineswegs der Ausgangspunkt der Einbrüche in der Warenproduktion. Sie war deren ökonomische Konsequenz und trat erst später auf. Dieser Zusammenhang widerspricht der verbreiteten Vorstellung, wonach das heutige Kreditsystem bzw. die Finanzmärkte eine »strukturelle Steuerungsinstanz der kapitalistischen Ökonomie« (Michael Heinrich) darstellen würden.
Die Krise war international: Die Banken hatten die in handelbaren Wertpapieren verpackten Kredite in alle Welt verkauft oder sie an eigene Zweckgesellschaften, auch Schattenbanken genannt, weitergegeben. Durch den Handel mit Kreditderivaten, darunter CDS-Papieren (»Credit Default Swaps)«, wurden die Risiken zusätzlich gestreut. Die Schattenbanken finanzierten die Käufe zu einem großen Teil kurzfristig am Geldmarkt, meist durch Commercial Papers (Wertpapiere zur Beschaffung kurzfristiger Gelder), die aber, um abgenommen zu werden, garantiert sein mussten, meist von der Mutterbank. Als die in Wertpapieren verpackten Immobilienkredite nicht mehr bedient wurden, gerieten die Zweckgesellschaften in Schwierigkeiten und konnten ihrerseits die Commercial Papers nicht bedienen. Das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit selbst renommierter Banken war erschüttert, weil unklar blieb, welche Garantien sie gegeben hatten. Der Interbankenhandel, die Schlagader des kurzfristigen Kreditgeschäfts auf dem Geldmarkt, brach zusammen.
Umschlag ins Monetarsystem
Diese Kredit- und Bankenkrise war also die Konsequenz einer partiellen Überproduktionskrise, die auf dem Immobilienmarkt stattfand. Die Industrie insgesamt war während dieser Zeit noch nicht betroffen. Ab Anfang 2008 verschärften sich aber auch hier die Absatzstockungen. Waren, die zuvor ohne Schwierigkeiten verkauft werden konnten, so dass ihr Wert in Form von Geld zurückfloss, blieben unverkäuflich liegen. Das Geld kehrte gar nicht oder nicht in der gewohnten Regelmäßigkeit und Pünktlichkeit zurück. Angesichts solcher Schwierigkeiten begannen die Unternehmer einander zu misstrauen. Ihr Kredit war im Spätsommer/Herbst 2008 erschüttert. Niemand wusste so recht, ob und wie lange die Vertragspartner zahlungsfähig waren. Bare Zahlung war angesagt, weil der private Kredit zusammenbrach.
Marx hatte einen solchen Umschlag des Kreditsystems ins Monetarsystem mit großer Sorgfalt analysiert. Im Mittelpunkt seiner Analyse steht die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel. In dieser Funktion vermittelt es den Handelskredit, den Kredit also, den sich die fungierenden Kapitalisten aus Industrie und Handel untereinander geben. Der Käufer einer Ware muss in einem solchen Fall kein Geld vorstrecken, um die Ware zu erwerben, sondern er gibt ein Zahlungsversprechen und löst dieses ein, sobald er durch den Verkauf der eigenen Ware über das Geld verfügt.
Das Geld tritt hier doppelt auf: Beim Händewechsel der Ware wirkt es als ideelles Kaufmittel und leitet so das Kreditverhältnis ein; in der erst später erfolgenden wirklichen Zahlung realisiert es den Wert, so dass das Kreditverhältnis wieder erlischt. Das Geld muss aber nur »körperlich« anwesend sein, soweit sich die wechselseitigen Forderungen nicht saldieren, also wirkliche Zahlung erforderlich wird.
Während der Absatzstockungen erwiesen sich viele Waren als unverkäuflich oder fanden nur zu niedrigeren Preisen einen Käufer. Die Zahlungsschwierigkeiten, die daraus entstanden, drohten die Ketten von Zahlungen zu zerreißen, die als Folge der Kopplung der Verhältnisse von Gläubiger und Schuldner entstanden waren. Es trat »Zahlungsunfähigkeit nicht nur in einem, sondern vielen Punkten ein, daher Krise« (Marx). Bare Zahlung war auf jeder Stufe erforderlich, während sonst, bei glattem Verlauf, nur die Schuldenbilanz zu saldieren gewesen wäre. Daher der notwendige Drang zum Geld, der den Umschlag des Kredit- ins Monetarsystem kennzeichnet.
Wenn dieser Umschlag letztendlich weniger dramatische Folgen mit sich brachte, als Marx für seine Zeit analysiert hatte, dann nicht deshalb, weil die Tendenz dazu fehlte. Dieser Umschlag war auch diesmal wieder ein ökonomisch-gesetzmäßiger Vorgang, der sich nur deshalb nicht mit all seinen Konsequenzen zeigte, weil der Staat massiv zugunsten der betroffenen Unternehmen und Banken intervenierte und die zum Teil staatlich gestützten Kreditversicherungen den Umschlag zu einem gewissen Grad abfederten. Aber er fand dennoch statt und schuf Notwendigkeiten für weitere Staatsinterventionen.
Lehman-Schock als Auslöser?
Die Kreditketten waren September 2008 auf das Äußerste angespannt. Sie begannen zu reißen mit der Folge, dass ein Schuldner nach dem anderen zahlungsunfähig geworden wäre. Es genügte ein Anlass, um die Kreditpyramiden zum Einsturz zu bringen. Wäre es nicht die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers gewesen, dann vielleicht die eines anderes großen Finanzinstituts oder Unternehmens (etwa General Motors, das ohne die staatlichen Rettungsaktionen einen solchen Anlass schon längst geliefert hätte).
Überall war Bedarf nach Geld – und das Geld schien verschwunden zu sein. Die Unternehmen versuchten, es von den Banken zu bekommen, nicht um Investitionen zu tätigen, sondern um ihre eigenen Kredite zu bedienen. Und die Banken selbst benötigten dringend Geld, das ihnen plötzlich niemand geben wollte. Bankkunden forderten ihre Guthaben bar ein, weil sie um die Sicherheit ihrer Einlagen bangten. Und die Schuldner mussten ihre Aktiva, seien es Waren oder Wertpapiere, auf den Markt werfen, um ihre Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Daher allgemeiner Fall der Warenpreise, Kurseinbrüche an den Börsen. Diese Geld-, Kredit-, Börsen- und Bankenkrise war der Auslöser der Panik vom September 2008. Durch massive Staatsinterventionen wurde ein allgemeiner Zusammenbruch des Kreditsystems verhindert, mit Folgen, die uns gleich noch beschäftigen werden.
Etliche Beobachter der Krise, darunter der »Wirtschaftsweise« Peter Bofinger und Vertreter der Bundesbank, behaupteten, dass »der Zusammenbruch von Lehman nicht nur das globale Finanzsystem (erschütterte), er führte zugleich zu einem ebenso abrupten wie tiefen Einbruch der weltwirtschaftlichen Aktivität«.
Die Fakten sprechen dagegen. Bereits seit Januar 2008, also neun Monate vor dem so genannten Lehman-Schock vom 15. September 2008, begann auf dem Weltmarkt die Nachfrage zunächst langsam, dann mit wachsendem Tempo zu schrumpfen. Der behauptete kausale Zusammenhang konnte zumindest während dieser Phase gar nicht bestanden haben. Die Wachstumsraten des US-Bruttoinlandsprodukts gingen seit dem 4. Quartal 2007 zurück; ab Frühjahr 2008 stürzte die US-Wirtschaft regelrecht ab. Die größte Ökonomie der Welt hatte bereits ihre depressive Phase erreicht, bevor die US-Investmentbank Lehman Brothers Konkurs anmeldete.
Weit verbreitet ist ebenfalls die Vorstellung, die Absatzkrise von 2008/9 sei auch Folgeerscheinung einer durch die Kredit- und Bankenkrise ausgelösten Kreditklemme, die zu einer restriktiven Vergabepraxis der Banken geführt habe. Daraufhin hätten die Unternehmen ihre Nachfrage eingeschränkt. Die Frage, ob es eine solche Kreditklemme tatsächlich gab, ist zentral für die These, dass die Finanzmarktkrise auf den Sektor der Warenproduktion übergesprungen sei. Für eine ausführliche Argumentation fehlt hier der Platz, so dass nur einige wichtige Zusammenhänge erwähnt werden können.[2]
Der Buchkredit als eine zentrale externe Finanzierungsquelle war in Deutschland gegen Ende 2007 kräftig gestiegen und erreichte im Juli 2008 mit einer Jahreswachstumsrate von 3,8 Prozent den Höhepunkt der Expansion. Erst danach setzte ein leichter Rückgang ein. Hätte es tatsächlich eine Kreditklemme gegeben, dann wäre nicht nur das Kreditwachstum unmöglich, der Kredit an die Bankkunden wäre regelrecht zusammengebrochen. Ein solcher »credit crunch« fand nicht statt.
Umfrageergebnisse weisen in dieselbe Richtung. Sowohl die vom ifo-Institut befragten Unternehmen als auch die befragten Banken bestätigen, dass sich die Konditionen keineswegs dramatisch verschlechterten; beide Kurven signalisieren geringere Kredithürden bzw. weniger Restriktionen als während der Krise 2002/2003.
Dass die Erschütterungen des Kredit- und Bankensektors nicht zu einer Kreditklemme mit restriktiven Wirkungen für die Warenproduktion geführt hatten, lag vor allem an der Wirtschaftspolitik, in erster Linie an der extrem expansiv ausgelegten Zins- und Kreditpolitik aller großen Notenbanken. Diese stellten den Banken zu sehr niedrigen Zinsen soviel Darlehn, wie sie benötigten, zur Verfügung und stillten in ihrer Funktion als Lender of Last Resort (Verleiher letzter Instanz) den Durst nach Geld.
Tendenzieller Fall der Profitrate
Die große Krise unterschied sich durch ihre besondere Heftigkeit von vielen vorhergegangenen. Dies war auf eine Umkehr des globalen Akkumulationszyklus zurückzuführen. Die längerfristigen Akkumulationstendenzen, die vor allem während der 1990er Jahre aufgrund neuer Anlagesphären des Kapitals (Einsatz neuer Technologien, Eroberung neuer geografischer Gebiete in Ost- und Mittelosteuropa, in China, Indien und am Persischen Golf) und des Hervortretens der dem Profitratenfall »entgegenwirkenden Ursachen« stärker aufwärts gerichtet waren und die Krisen abfederten, kehrten sich vor einigen Jahren um.
Seitdem treten die Schranken des Marktes stärker hervor – mit der Folge, dass die zyklischen Krisen auch die längerfristig entstandenen Disproportionen auszugleichen haben. Ein Beispiel dafür ist der US-Immobiliensektor, der bis Mitte 2005 ohne nennenswerte Rückschläge kräftig expandierte und nun in einer langfristigen Bereinigungskrise steckt. Das aktuelle Zusammenspiel von längerfristigen Akkumulationstendenzen und zyklischer Krise enthält in seinen allgemeinen Momenten jene Bestimmungen, die Marx unter anderem im 15. Kapitel des dritten Bandes des Kapitals (»Entfaltung der inneren Widersprüche des Gesetzes«) entwickelte. Die Kombination aus Profitratenfall (»Das Gesetz als solches«) und »entgegenwirkenden Ursachen« entfaltet eine Widerspruchsdynamik, die sich auch »nacheinander in der Zeit« (MEW 25, S. 259) geltend macht und zwar als sich abwechselnde Perioden mal schwächer, mal stärker hervortretender Krisen.
Gleiches gilt für die allgemeinen Krisenzusammenhänge, soweit sie mit der kapitalistischen Warenproduktion und der großen Industrie verbunden sind. Im Vergleich zu Marxens Zeiten ist die Ware heute in einem weitaus größeren Umfang »Elementarform des Reichtums«, so dass die Möglichkeit der Krise in einem erweiterten Rahmen fortexistiert. Ebenso ist die »Konsumtionskraft auf Basis antagonistischer Distributionsverhältnisse« (Marx) eine Schranke für die Akkumulation geblieben. Nicht nur das: Mit fortscheitender Durchkapitalisierung der Gesellschaft und der Tendenz, die »Konsumtion der großen Masse« der Bevölkerung auf ein »gewisses Minimum (zu) reduzieren« (Marx), macht sich diese Schranke kapitalistischer Produktion tendenziell stärker geltend.
Schließlich existieren alle Voraussetzungen für die Periodizität der Krisen fort. Das mit der Entstehung der großen Industrie sprunghaft gewachsene fixe Kapital hat seine Bedeutung tendenziell noch vergrößert, mit der Konsequenz, dass der »Zyklus von zusammenhängenden Umschlägen« auch weiterhin »eine materielle Grundlage der periodischen Krisen« bildet. Ein sichtbares Zeichen dafür ist die Expansion und Kontraktion im Bereich der Investitionsgüterindustrie, die stärkere zyklische Schwankungen aufweist als die konsumnahen Produktionsbereiche.
Wenn hier die These vertreten wird, dass die Marxschen Krisengesetze ihre Gültigkeit behalten haben, dann heißt das natürlich nicht, dass die verschiedenen Krisen ein identisches Verlaufsmuster aufweisen würden. Sie unterscheiden sich nach Dauer und Intensität, sie treffen bisweilen stärker, dann wieder weniger stark den Kredit- und Bankensektor, sie treiben mit unterschiedlicher Wucht eine große Masse Lohnabhängige in die Arbeitslosigkeit, sie lassen sie unterschiedlich stark verelenden, je nachdem, wie tief die Krise ist und wie stark der Widerstand gegen ihre Folgen ausfällt. Trotz aller Besonderheiten existieren Übereinstimmungen in den allgemeinen Bewegungsformen der sich »stets wiedererzeugenden Zyklen«, deren aufeinander folgende Phasen, wie Marx in der autorisierten französischen Ausgabe zum Kapital anmerkte, »Jahre umfassen und die immer hinauslaufen auf eine allgemeine Krise, die Ende eines Zyklus und Ausgangspunkt eines neuen ist«.
Dass der Staat solche Wechselperioden des industriellen Zyklus durch seine Interventionen beeinflusst, ist keineswegs ein Beweis für die Ungültigkeit der von Marx analysierten Zusammenhänge. Die Notwendigkeit solcher Staatsinterventionen ergibt sich gerade erst durch den Rhythmus des Zyklus, vor allem dann, wenn die Krise mit ihren Verwerfungen und Entwertungsprozessen für das Kapital besonders bedrohlich wird.
Verschiebung der Risiken
Der jetzige Krisenzyklus bietet genügend Anschauungsmaterial. Als massive Entwertungsprozesse auf allen Ebenen des Kapitals einsetzten, stoppte der Staat die Entwertungsspirale zugunsten des Kapitals mithilfe von Rettungsschirmen, Konjunkturprogrammen und der Bereitstellung von soviel Geld, wie die Banken benötigten. Notleidende private Kredite wurden durch öffentliche ersetzt, mit der Folge, dass die Staatsverschuldung und die Bilanzsummen der Notenbanken sprunghaft stiegen. Durch diese Rettungsaktionen wanderten die Entwertungsrisiken vom Kapitalsektor in den Staatssektor. Der Zusammenbruch des Kreditsystems wurde zwar verhindert, die Situation vorübergehend entschärft, jedoch um den Preis, dass selbst größere Staaten in eine Schuldenkrise geraten sind und die Notenbanken an Vertrauen verlieren. Einen Hinweis auf diesen Vertrauensverlust liefert die trotz beruhigender Worte seitens der Ökonomen nicht auszuräumende Angst vor einer massiven Geldentwertung, verbunden mit einer Währungsreform.
Die Politik hat das Krisengeschehen modifiziert, es in neue Formen gebracht, aber sie hat die Krise nicht bereinigt. Die Kapitalentwertung ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Auch der Krisenrhythmus selbst, wie Marx ihn als allgemeine Bewegungsform kapitalistischer Akkumulation analysierte, ist geblieben: Die große Krise von 2008/2009 bildete den Ausgangspunkt eines neuen Zyklus, der bereits Hinweise auf eine neuerliche zyklische Krise liefert. Tritt diese ein, erhalten die politisch verschleppten Krisenprozesse eine neue Brisanz.
[1] Näheres zur Ideologisierung des Krisengeschehens und zu den Akteuren, die das maßgeblich betrieben, findet der Leser bei Guenther Sandleben: Politik des Kapitals in der Krise, Hamburg (VSA) 2011, S. 20ff
[2] Ausführlicher dazu: Guenther Sandleben: Finanzmarktkrise – Mythos und Wirklichkeit. Wie die ganz reale Wirtschaft die Krise kriegt, Norderstedt (BoD) 2011
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