„Neuanfang“?

Ergebnisse des Landesparteitags der Linken Schleswig-Holstein. Teil 1

Von Daniel Dockerill

Die Neuwahl der Landessprecherin und des Landessprechers der Partei ist zweifellos das markanteste Ergebnis des Landesparteitags der Linken in Schleswig-Holstein am letzten Septemberwochenende. Die Wahl von Cornelia Möhring aus dem Kreisverband Plön zur neuen Landessprecherin bot dabei wenig Spektakuläres. Die bisherige Landessprecherin, Antje Jansen aus Lübeck, hatte nicht mehr kandidiert, und das Stimmergebnis von 65 Stimmen für Cornelia Möhring bei 25 Stimmen für die Gegenkandidatin Angela Whyte aus Kiel stellt ein völlig eindeutiges Votum des Parteitags dar. Die Wahl des Landessprechers war dagegen heftig umkämpft. Am Ende gaben zwei Stimmen den Ausschlag – bei einer ungültigen Stimme und keiner einzigen Enthaltung.

Mit der Wahl des neuen Landessprechers der Linken in Schleswig-Holstein schließt sich ein Kreis. Björn Radke, Gründungsmitglied der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG), gehörte von Beginn an als einziger Schleswig-Holsteiner deren Bundesvorstand an und war entscheidender Impuls-, Ideen- und Ratgeber bei Gründung und Aufbau der WASG im nördlichsten Bundesland gewesen. Die WASG wiederum war notwendige und schließlich auch hinreichende Bedingung dafür gewesen, dass aus der bis dahin in der politischen Bedeutungslosigkeit dümpelnden PDS Schleswig-Holsteins jene Linke geworden ist, die im Mai dieses Jahres locker in Fraktionsstärke in sämtliche Kreistage und etliche Kommunalparlamente einziehen konnte. Mit Björn Radke kürte diese Linke nun also denjenigen zu ihrem Sprecher, dem sie maßgeblich verdankt, dass sie dorthin aufbrach, wo sie jetzt steht. So weit oder vielmehr so knapp: so folgerrichtig – sehen wir einmal davon ab, dass Björn Radke in den vergangenen zwei Jahren in der Linken Schleswig-Holsteins weder bei der Fusionierung der beiden Stammparteien noch beim Aufbau des neuen gemeinsamen Landesverbands eine Rolle gespielt hat. Etwas eigenartig muten vor diesem Hintergrund aber vor allem die näheren Umstände seiner Kür an.

Björn Radke hatte seine Kandidatur gegen den bisherigen Landessprecher Gösta Beutin bereits im Vorfeld des Parteitages mit der Ansage verknüpft, die Linke.SH werde damit vor eine Richtungsentscheidung gestellt. Er stehe für eine bestimmte politisch-programmati­sche Ausrichtung des Landesverbands, die sich von derjenigen, die Gösta Beutin vertrete, klar unterscheide. Dies unterstreichend hatte er zum Leitantrag des Landesvorstands über „Landespolitische Schwerpunkte der LINKEN.­Schleswig-Holstein“, der unverkennbar die Handschrift des bisherigen Landessprechers trug, einen Änderungsantrag eingereicht, der verlangte, dem Ganzen von ihm formulierte „Eckpunkte für ein landespolitisches Profil“ voranzustellen. Über den Inhalt jener „Schwerpunkte“ wird noch zu reden sein ebenso wie über den der „Eckpunkte“ Björn Radkes. Und auch darüber, warum dieser dem Leitantrag keinen alternativen Entwurf entgegengestellt hat, sondern – bei aller Kampfansage – seine „Eckpunkte“ offenbar für völlig kompatibel hält mit den vom Landesvorstand formulierten „Schwerpunkten“. Zunächst bemerkenswert sind aber vor allem die sehr unterschiedlichen Schicksale, die den beiden Texten auf dem Parteitag jeweils widerfuhren.

Der Leitantrag des Landesvorstands wurde Grundlage der sehr konstruktiv geführten politischen Generaldebatte. Ein Antrag, ihn gar nicht zu behandeln, wurde mit klarer Mehrheit abgelehnt, und nach einer Reihe von, zum größten Teil von Gösta Beutin selbst mit eingebracht, wurde er schließlich mit ebenso klarer Mehrheit vom Parteitag verabschiedet.

Björn Radke hingegen zog, just als sein Änderungsantrag mit den „Eckpunkten“ zur Verhandlung kommen sollte, diesen zurück und widmete ihn um zum Material für eine demnächst zu bildende Kommission, die den Entwurf eines landespolitischen Programms erarbeiten soll.

Was ihn dazu bewogen haben mag, ist nicht schwer zu erraten: Ob der Parteitag seinen Antrag angenommen hätte, war einigermaßen fraglich gewesen. Als nach dessen Rückzug dennoch eine Debatte zu den darin formulierten Positionen kurzzeitig aufflammte, zeigte sich deutlich genug, wie umstritten und klärungsbedürftig sie größtenteils sind. Und in den Gliederungen des Landesverbandes hat diese Debatte noch nicht einmal begonnen. Insofern hat der Antragsteller mit der Umwidmung seines Antrags zum Material einer noch zu führenden Debatte nur die wahrscheinlichste Entscheidung des Parteitags vorweggenommen und so vermieden, mit einer Abstimmungsniederlage in die Kandidatur zum Landessprecher zu gehen. Die von Björn Radke angekündigte Richtungsentscheidung wurde also einerseits von ihm selbst vertagt. Oder vielmehr eine bis zur Entscheidung geführte Debatte darum. Denn andererseits zog er seine Kandidatur, die er mit jener Entscheidung verknüpft hatte, nicht etwa zurück, sondern erhielt sie aufrecht.

Ein Vorgang, der, wenn man Böses denkt, ein durchaus bekanntes Muster aufweist, das immer dort gerne zum Zuge kommt, wo die angestrebte Richtung mit den in der Partei verbreiteten Vorlieben schlecht harmoniert. Man stelle sich einmal vor, die SPD führte vor der Auswechselung ihres Parteivorsitzes eine breite Debatte etwa über die Rente mit 67 und besetzte erst nach deren Entscheidung dazu passend ihren Vorsitz samt Kanzlerkandidatur. Müntefering und Steinmeier wären dann wahrscheinlich ziemlich unmöglich. Der umgekehrte Weg dagegen lässt etwaige Debatten in der SPD über diese und andere von der Partei zu verantwortenden Peinlichkeiten auf elegante Weise ins Leere laufen. So geht Politik auf sozialdemokratisch.

Und wie geht sie auf links?

Die Positionen der Landessprecherin und des Landessprechers haben nach der Satzung ausdrücklich nichts mit einem Parteivorsitz zu tun. Der Idee nach erfüllen sie, ganz ähnlich wie die Position des Schatzmeisters, eine bloße Arbeitsfunktion des kollegial arbeitenden Landesvorstands, nämlich die der sogenannten Öffentlichkeitsarbeit. Politische Entscheidungen trifft allein der aus elf gleichberechtigten Mitgliedern zusammengesetzte Landesvorstand in seiner Gesamtheit. Landessprecherin und ­‑sprecher geben sie nur bekannt. Insofern maß bereits die Ausrufung der Kandidatur für den Landessprecher zu einer Richtungsentscheidung dem Amt eine Bedeutung bei, die ihm an sich gar nicht zukommt. Allerdings hebt die gesonderte Wahl dieser Positionen sie dann doch in gewisser Weise von den übrigen Landesvorstandsposten ab und erklärt, warum es zu dieser in ihrem Verlauf einigermaßen skurrilen Kampfkandidatur überhaupt kommen konnte.

Eigentlich ist also politisch fast nichts passiert auf diesem Parteitag. Der alte Landessprecher sitzt auch im neuen Landesvorstand. Und die politische Richtlinie, die der Parteitag dem neuen Landesvorstand mitgegeben hat, wurde im Wesentlichen vom alten Landesvorstand formuliert. Erheblich geändert hat sich allerdings die personelle Zusammensetzung des Landesvorstands. Sechs Mitglieder des zehnköpfigen alten Landesvorstands wurden durch sieben neue ersetzt. Zu Björn Radkes „Eckpunkten für ein landespolitisches Profil“ hat aber bislang keines der sechs anderen neuen Mitglieder des Landesvorstands sich geäußert.

Dass es sich bei der Neuwahl um „eine strukturelle Neuaufstellung des Landesverbandes“ handelt, wie Cornelia Möhring und Björn Radke in einem Mitgliederrundbrief vom 30. September „für den Vorstand“ schreiben, der sich am 6. Oktober konstituieren wird, bleibt bis auf weiteres ein Versprechen für die Zukunft. Die Mehrheit der neuen Landesvorstandsmitglieder besteht aus in der Partei noch weitgehend unbekannten Gesichtern, denen man getrost unterstellen kann, dass sie kaum eine Vorstellung davon haben dürften, was auf sie zukommt. Und die zwei, die man kennt, haben in der Vergangenheit – bei allen sonstigen Talenten – nicht gerade bewiesen, dass sie die Nerven und das moderierende Temperament besitzen, eine zerstrittene Partei in produktive Arbeit zu bringen. Für Optimismus gibt es daher leider kaum Anhaltspunkte.

Allzu vieles am Zustand des Landesverbands, wie er sich im Schlaglicht dieses Parteitags zeigt, kommt einem aus der jüngeren Vergangenheit nur allzu bekannt vor. Nach wie vor gibt der Grad der Heftigkeit, mit der die sich in der Partei bekämpfenden Lager aufeinander prallen, ein direktes Maß ab für die Dürftigkeit des politischen Gehalts, worum jeweils gestritten wird. Mehrheiten und Minderheiten im Landesverband bilden sich weiterhin in erster Linie aufgrund von wechselnden Bündnissen mit und zwischen Kreisverbandsfürsten, deren politische Präferenzen starken Schwankungen unterliegen, statt entlang von Strömungen, die für bestimmte politische Positionen stehen. Und obendrein verdankt nach Adam Riese Björn Radke seine denkbar knappe Wahl zum Landessprecher einer hastigen Neuwahl der Delegierten aus Kiel, die nicht nur nun auch diesen Kreisverband in jenen unguten Zustand versetzt, der für den Lübecker Kreisverband schon notorisch ist. Vor allem hat sie den Landesparteitag in ganz unnötige Turbulenzen gestürzt, ihm das Risiko seiner womöglich erfolgreichen Anfechtung und dem ganzen Landesverband eine ins Haus stehende weitere große Schlammschlacht beschert.

Hatte er das nötig? fragt man sich da unwillkürlich. Und wozu eigentlich? Wozu dieser Popanz einer politischen Kampfkandidatur, die weder die momentane politische Verfassung der Partei noch das angestrebte Amt wirklich hergeben? Zumindest ein bisschen stutzig macht es daher schon, wenn es im bereits zitierten Mitgliederrundbrief heißt, dass „unterschiedliche Schwerpunktsetzungen“ einer „sehr kontrovers“ geführten Debatte über unterschiedliche „Konzepte zur Entwicklung eines landespolitischen Profils“ sich niedergeschlagen hätten „bei der Wahl der (!) Landessprecher“. Haben die neuen Landessprecher womöglich doch Björn Radkes Wahl als einen Freibrief missverstanden, seiner persönlichen „Schwerpunktsetzung“ in ihrem neuen Amt ab sofort den Sprecher zu machen?

(Fortsetzung folgt.)

[Red. Anm. v. Okt. 2024: Hier nachträglich dokumentierter erster Teil eines Debattenbeitrags von der Webseite des Landesverbands der Partei DIE LINKE in Schleswig-Holstein, der dort nicht mehr zugänglich ist. Dementsperechend gehen auch die Verweise (links) dieses Beitrags auf darin zitierte Dokumente mittlerweile ins Leere. Siehe im übrigen auch den hierzugehörigen zweiten Teil.]

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Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

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